"Le Printemps": Tanz in Zeiten des Terrors.

Foto: Gilles Toutevoix

Wien – Vier Frauen machen ihr Ding, und ihr Choreograf unterstützt sie dabei. Diesen Eindruck von Offenheit erweckt Mark Tompkins' Stück Le Printemps, das 2015 in Frankreich uraufgeführt wurde und jetzt bei Impulstanz im Odeon zu sehen ist. Die drei Tänzerinnen Silvia Di Rienzo, Anna Gaïotti und Ananda Montange packen ihre Bewegungen aus. Kamilya Jubran steht ihnen bei. Sie spielt die arabische Laute Oud und singt Lyrik von Fadhil al-Azzawi, Paul Chaoul und Hassan Najmi.

Aus einem Würfel in der Bühnenmitte ragen elf lange Stangen mit aus Kopftüchern zusammengeknüpften Fahnen. Während Jubran ihre Oud stimmt, nimmt Anna Gaïotti, auf deren T-Shirt "France" gedruckt ist, eine davon und sagt auf Französisch: "Ich habe keine Waffe." Sie räumt die Fahnensammlung weit hinten an die Bühnenrückwand und stellt fest: "Das ist mein Friedhof." Worauf zwei Gestalten in schwarzer Vollverschleierung auftreten und einen Zweikampf in slapstickhaftem Martial-Arts-Stil beginnen.

Orgie der Verkleidung

Le Printemps ist unmittelbar nach dem Anschlag auf das Pariser Satiremagazin Charlie Hebdo entstanden. In dieser angespannten Zeit formulierten Tompkins und die vier Frauen ein künstlerisches Statement, dessen Hintergrundmotiv der Untergang des Arabischen Frühlings ist. Zwischen den düsteren Texten, die Kamilya Jubran singt, und dem immer wieder aufblitzenden Humor in den Auftritten der Tänzerinnen bauen sich im Verlauf des Stücks immer mehr Verbindungen auf.

Die Fahnen und die Nikabs wirken, aus der Distanz betrachtet, gleichermaßen absurd. Ebenso wie die Verkleidungen, in die ganz normale Konsumenten der superauthentischen Warenwelt bedenkenlos schlüpfen, weil die kaum ein Außen zulässt. Um dieses Eingeschlossensein zu verdeutlichen, beginnen die Tänzerinnen mit einer Orgie der Verkleidung in einem wilden Gemisch aus modischem und unmodischem Zeug.

Voll leer

Le Printemps entwickelt sich zu einer von leidenschaftlichen Tönen und dunklen Worten begleiteten Orgie der Einhüllungen, in der es gar nicht mehr auffällt, wenn die Tänzerinnen zwischendurch ihre nackte Haut zeigen. Auch diese ist hier nicht mehr als ein Eigenkörperstrumpf, der kaum noch etwas darüber aussagt, welche Persönlichkeit er verhüllt.

Kamilya Jubran singt gegen Ende "Wir tauschen Küsse aus auf dem Bett / im Palast alter Erinnerungen", und "Ich höre die erste Explosion / Summen in der Ewigkeit". Sobald Di Rienzo, Gaïotti und Montange es in der Folge geschafft haben, sich alles überzuziehen, dessen sie im reichen Fundus an auf der Bühne verstreuten Kleidungsstücken habhaft werden können, implodiert die Bedeutung des ganzen Fummelfetischismus. Jetzt ist alles voll leer, also können die aus der Form geratenen Gestalten einander umarmen. Jubran singt: "Ich sage, lass Licht in der Welt sein." Die Scheinwerfer verlöschen. Ein sehr ironisches Stück ist zu Ende. (Helmut Ploebst, 29.7.2017)