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Für ältere Dieselfahrzeuge drohen Fahrverbote in Innenstädten. Nach einem Gerichtsurteil könnte das in Stuttgart schon bald Realität werden.

Foto: dpa/kraufmann

Stuttgart – Es ist eine Schlappe für die Politik: Auf eine Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hin haben Richter überprüft, ob das süddeutsche Bundesland Baden-Württemberg genug tut, um die Luftverschmutzung in der Landeshauptstadt Stuttgart zu bekämpfen – und sind zu der Entscheidung gekommen, dass härtere Maßnahmen als bisher geplant notwendig sind. Im Klartext heißt das: Weil Dieselautos zu den Hauptverursachern der Luftverpestung zählen, könnten sie bald aus der Innenstadt ausgesperrt werden. Es drohen Fahrverbote.

"Das Verkehrsverbot verstößt nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil der Gesundheitsschutz höher zu gewichten ist als das Recht auf Eigentum und die allgemeine Handlungsfreiheit der vom Verbot betroffenen Kraftfahrzeugeigentümer", sagte Richter Wolfgang Kern.

Problem der Autohersteller wächst

Im Luftreinhalteplan, den das Verwaltungsgericht prüfte, stehen neben Tempolimits zwar verschiedene Varianten von Fahrverboten, die ab 2018 für viele Diesel mit einer Abgasnorm unterhalb von Euro 6 gelten könnten. Diese unpopuläre Maßnahme wollte das Land aber eigentlich umgehen. "Wir wollen Fahrverbote in Stuttgart vermeiden – und ich bin zuversichtlich, dass das gelingt", sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) noch vor der Verhandlung. Diese Zuversicht wurde jetzt vom Verwaltungsgericht geschmälert.

Die Entscheidung der Richter ist aber auch eine Niederlage für die Autohersteller: Um die Umweltbelastung in den Griff zu kriegen, setzen sie auf Nachrüstlösungen statt auf Fahrverbote. Demnach sollen Dieselautos mit Euro-5- und Euro-6-Abgasnorm durch ein Software-Update modifiziert werden und weniger giftiges Stickstoffdioxid ausstoßen. Die Justiz am Verwaltungsgericht Stuttgart hatte jedoch schon bei der Verhandlung am 19. Juli durchblicken lassen, dass sie die Wirksamkeit der Umrüstungen anzweifelt.

Wien ist anders

Für die Entscheidung dürften sich auch etliche andere Großstädte interessieren, in denen ebenfalls die Stickoxid-Grenzwerte regelmäßig überschritten werden, auch in Österreich. In Wien, wo Stickoxide wegen der durchgängigen Belastung ein größeres Problem darstellen als Feinstaub, werden abseits von Verboten alternative Wege der Schadstoffbegrenzung gesucht. Das Umweltbundesamt sieht das positiv. Attraktivierung der öffentlichen Verkehrsmittel, Parkraumbewirtschaftung und Motivierung von Flotten zur Umstellung auf Benzinhybride oder Elektroautos seien ein guter Weg, meinte kürzlich der Chef des Umweltbundesamts, Jürgen Schneider, im Gespräch mit dem STANDARD.

In Graz, der Feinstaub-Hauptstadt Österreichs, ist ein Fahrverbot für abgasintensive Dieselfahrzeuge noch vor wenigen Jahren mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Gerade in einem "Dieselland" wie Österreich, wo 57 Prozent des Pkw-Bestands Selbstzünder sind und noch immer eines von zwei neuzugelassenen Autos einen Diesel unter der Motorhaube hat, sei es extrem schwer, Fahrverbote in Umweltzonen durchzusetzen, sagen Experten. Hunderttausende Betroffene und eine stark vernetzte Zulieferindustrie mit hoher lokaler Wertschöpfung – Stichwort BMW-Motorenwerk in Steyr – senkten die Wahrscheinlichkeit von Fahrverboten.

Fahrverbot bei Feinstaubalarm

In Stuttgart sollten die angedachten Fahrverbote für Dieselautos unterhalb der Euro-6-Norm an allen Tagen gelten, für die Feinstaubalarm ausgerufen ist. Die Industrie sagt jetzt, sie könne mittels Nachrüstung dauerhaft sogar mehr zur Senkung der Luftschadstoffe beitragen, als durch temporäre Verkehrsbeschränkungen möglich wäre.

Zudem hat der Richterspruch eine starke Signalwirkung für den sogenannten Dieselgipfel, der kommenden Mittwoch in Berlin stattfindet. Dort wollen Vertreter von Politik und Autoindustrie eine Lösung für das Abgasproblem von Dieselautos finden. Ihr bisheriger Masterplan lautete: Nachrüstung der betroffenen Fahrzeuge. Die Zweifel am Erfolg dieses Konzepts sind nach diesem Freitag größer als je zuvor. (Günther Strobl, Reuters, 28.7.2017)