Sebastian Kurz und Christian Kern: Die beiden Parteichefs wollen ins Bundeskanzleramt gelangen (oder dort bleiben) und Österreichs Steuersystem reformieren.

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Noch nie war Österreich so einig: Christian Kern, Sebastian Kurz, Heinz-Christian Strache, SPÖ, ÖVP, Neos und so gut wie sämtliche Medien fordern dringend die Senkung der Abgabenquote von derzeit 43,1 auf höchstens 40 Prozent.

Das zeugt von ökonomischer Verwirrung: Volkswirtschaften mit seit Jahrzehnten hohen Abgabenquoten (oft über 50 Prozent) wie Schweden oder Dänemark funktionieren wirtschaftlich bis heute nicht schlechter als die Schweiz mit der niedrigsten Abgabenquote von 28,5 Prozent.

Die Abgabenquote hat weithin sichtbar keinen Einfluss auf die wirtschaftliche Performance eines Landes. Wie absurd es ist, die "40 Prozent" als Optimum anzusehen, zeigt ein Blick auf die aktuelle Abgabenstatistik – am nächsten kommen dieser Zahl derzeit Griechenland mit 41,2 und Ungarn mit 38,8 Prozent.

Es geht in Österreich also in keiner Weise um die "Abgabenquote" im Allgemeinen (die uns unter die erfolgreichen Staaten reiht), sondern es geht ausschließlich darum, dass Arbeit mit hohen Steuern und besonderes hohen Abgaben belastet ist. Darin sehen alle Ökonomen zu Recht einen wirtschaftlichen Nachteil, denn es mindert die Kaufkraft und behindert Anstellungen, weil die hohen Lohnkosten abschreckend auf Unternehmer wirken.

Wie senken?

Wie also wollen die wichtigsten politischen Akteure die Senkung der Abgaben auf Arbeit erreichen?

Christian Kern will zum Ausgleich vermögensbezogene Steuern erhöhen, Apple oder Starbucks aus Steuerschlupflöchern vertreiben und natürlich, wie alle, bei der Verwaltung sparen. Kurz will die Vermögenssteuern auf keinen Fall erhöhen und fast nur bei der Verwaltung – voran ihrer "Bürokratie" – Einsparungen erzielen. Steuerhinterziehung will sein Finanzminister schon lange bekämpfen. Strache redet in etwa wie Kurz.

Ich will auch Einsparungen bei der Verwaltung erzielen – allerdings nur, wenn sie dadurch nicht schlechter funktioniert und der Staat das eingesparte Geld an anderer Stelle ausgibt.

Warum ich so denke, habe ich an dieser Stelle schon einmal zu erklären versucht: In einer Nachfragekrise, in der die Bevölkerung sich teils aus Zukunftsangst, teils angesichts gesunkener Reallöhne mit Ausgaben zurückhält und die Unternehmer eben deshalb keine Erweiterungsinvestitionen tätigen (sich also ebenfalls mit Ausgaben zurückhalten), darf nicht auch noch der Staat seine Ausgaben senken. (So lehrte mich zumindest der mit Abstand wichtigste bürgerliche Ökonom des Landes, Erich Streissler.)

Ich behaupte, dass dies ein mathematisches Gesetz (im Gegensatz zu wandelbaren ökonomischen Theorien) ist: Die Wirtschaft kann nur messbar wachsen, wenn mehr verkauft wird; es kann nur mehr verkauft werden, wenn mehr eingekauft wird. Wenn alle Beteiligten ihre Einkäufe reduzieren (sparen), muss die Wirtschaft so stagnieren, wie sie das in Europa derzeit trotz der alljährlichen Jubelmeldungen tut. (Dass sie immerhin zaghaft wächst, liegt an der Geldschwemme der EZB und daran, dass der Sparpakt nicht eingehalten wird bzw. eingehalten werden kann: Überall außer in Deutschland ist die Staatsschuldenquote der sparenden Staaten gestiegen, weil ihr Sparen das Wachstum des BIPs stets stärker als die Staatsschuld vermindert hat.)

Sparsamkeit vs. Sparen

Weil ich deshalb seit 2012 gegen den Sparpakt anschreibe, bin ich in den Ruf eines vergeudungsfreudigen Menschen geraten. Auch das zeugt von ökonomischer Verwirrung: Es beruht darauf, dass nicht zwischen "Sparen des Staates" und "Sparsamkeit" des Staates unterschieden wird.

Der Staat muss natürlich so sparsam wie möglich agieren: Wenige haben so heftig wie ich kritisiert, dass etwa das Wiener AKH oder der Skylink doppelt so teuer wie gleichgroße Bauwerke in Aachen oder Málaga ausgefallen sind – dergleichen ist fahrlässig bis kriminell.

Aber es hat nichts damit zu tun, dass er Staat derzeit in Summe nicht sparen soll. Allenfalls lässt es sich so formulieren: Der Staat muss Misswirtschaft derzeit besonders energisch bekämpfen bzw. besonders sparsam agieren, weil er besonders dringend alle Mittel dazu verwenden soll, sie an der richtigen Stelle – zum Beispiel für Schulen und Universitäten – auszugeben. Denn es ist derzeit besonders wichtig, die Wirtschaft anzukurbeln und Arbeitslosigkeit wenigstens so weit wie möglich in Grenzen zu halten.

Ich habe den Eindruck, dass Christian Kern das etwas besser als Sebastian Kurz versteht.

Mein Eindruck vom mangelnden Verständnis Kurz' rührt daher, dass seine Sparvorschläge auf mich so wenig glaubwürdig wirken, dass ich fürchte, dass er in Wirklichkeit doch nur staatliche Leistungen einsparen will. So fordert er zuvorderst "Bürokratieabbau". Nun gibt es zwar sicher Bürokratiekosten, die vor allem aus jenem falsch verstandenen Föderalismus resultieren, den vor allem schwarze Landesfürsten nicht preisgeben. Aber die Hauptkosten sind zweifellos die Personalkosten der Beamtenschaft. Und die hat die rot-schwarze Koalition zwischen 2005 und 2015 von 299.773 auf 212.410 um fast ein Drittel reduziert, ohne gleichzeitig die Zahl der Staatsangestellten zu erhöhen. Sonst hätte Österreich laut OECD nicht, gemeinsam mit der Schweiz und Deutschland, die wenigsten Staatsangestellten pro Kopf der entwickelten Welt. (Um die zehn Prozent mit Unterschieden hinterm Komma.)

Ich kann mir daher nicht so recht vorstellen, wie Kurz durch weiteren Bürokratieabbau wirklich Milliarden einsparen will.

Der Bereich, in dem der Staat mit Abstand am meisten einsparen kann, ohne dass die Leistung für die Bürger sinkt – das Spitalswesen -, kommt in seinen Statements (freilich auch in denen seiner Konkurrenten) nicht vor.

Auch die Steuerhinterziehung will Kurz von jeher, und nun auch Kern ausdrücklich, eindämmen. Kern spricht dabei von Starbucks oder Apple, und ich wünsche ihm bei seinem Vorhaben das Glück, das die gesamte EU diesbezüglich bisher nicht hatte. Realistischer ist wohl die intensivere Verfolgung vieler kleiner heimischer Steuerschwindler, wie Hans Jörg Schelling sie schon zur Gegenfinanzierung der aktuellen Steuerreform propagiert hat.

Aber bekanntlich hat sie schon dazu nicht ausgereicht. Wie soll sie dann plötzlich Milliarden bringen? Das gilt auch für die vielen wertvollen Vorschläge des Rechnungshofes, die Kern wie Kurz und Strache natürlich übernehmen wollen: Nicht dass ich die hunderten Millionen, die in der Verwaltung auch abseits der Reduktion der Beamtenschaft eingespart werden können, verachtete – aber die Milliarden, um die man die Steuern auf Arbeit senken möchte, sehe ich nicht.

So wenig wie bei der "Durchforstung des Subventionsdschungels". So schwärmt Kurz etwa zu Recht vom größeren soziokulturellen Zusammenhalt der Landbevölkerung. Der beruht nicht zuletzt darauf, dass Trachtenvereine, Kegelvereine, Stadtbildverschönerungsvereine, Volksmusikkapellen, ländliche Holzarchitektur und vieles mehr gefördert werden. Das ist nicht nur soziokulturell relevant, sondern trägt auch zur Kaufkraft bei. Ich glaube nicht, dass man es mindern soll.

Förderung als Segen

Dass Österreich die Förderung sozialen Wohnbaus nicht völlig aufgegeben hat, erweist sich soeben als Segen und spiegelt sich in der derzeit stärksten Bautätigkeit der EU. Und dass Österreich Forschung und Entwicklung deutlich stärker als der EU-Durchschnitt fördert, wird Kurz hoffentlich auch nicht antasten.

Ich werde feiern, wenn die Förderungen rundum transparenter werden. Aber dass man in diesem Bereich Milliarden einsparen kann und soll, halte ich erstens für eine Illusion und zweitens für gefährlich.

Weil der Staat "in der Krise nicht sparen soll" (Streissler).

(Peter Michael Lingens, 27.7.2017)