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Rom – Italienische Regierungsbeamte und Hilfsorganisationen haben sich vorerst nicht auf einen Verhaltenskodex als Grundlage für Rettungen von Migranten im Mittelmeer geeinigt. Für Freitag sei ein neues Treffen in Rom angesetzt worden, berichtete Titus Molkenbur, der für die deutsche NGO Jugend Rettet am Dienstag an einem mehr als einstündigen Treffen im Innenministerium in Rom teilnahm.

Bis dahin könnten die Organisationen Vorschläge zur Verbesserung und Ergänzung des Regelkatalogs einreichen. Das ging auch aus einer Mitteilung des Innenministeriums am Abend hervor. An dem Gespräch unter Federführung des Flüchtlingsbeauftragten des italienischen Innenministeriums, Mario Morcone, nahmen neben Jugend Rettet die NGOs MOAS, Save the Children, Ärzte ohne Grenzen, Sea-Watch, Sea-Eye und SOS Mediterranee teil. Jede Organisation habe ihre Sorgen vorbringen können, sagte Molkenbur. Morcone habe deutlich gemacht, dass es der italienischen Regierung um die innere Sicherheit gehe.

NGOs uneins

Im Vorfeld waren die Positionen der eingeladenen NGOs unterschiedlich. Ärzte ohne Grenzen und MOAS etwa wollten sich auf STANDARD-Anfrage nicht äußern. Sea-Eye begrüßte den Kodex. "Wir haben nichts zu verbergen", sagte deren Sprecher Hans-Peter Buschheuer, der aber noch einige Punkte genauer besprechen wollte. Die deutsche NGO Sea-Watch hingegen lehnt den Verhaltenskodex ab. "Wir halten mehrere Teile davon für rechtswidrig", erklärte Sprecher Ruben Neugebauer. Deshalb werde man das Papier auch nicht unterzeichnen.

Italiens Regierung reagiert verärgert darauf, dass man sich vorläufig nicht geeinigt habe. "Der Verhaltenskodex ist eine grundlegende Angelegenheit für die Sicherheit des Landes", sagte Innenminister Marco Minniti. "40 Prozent aller Migranten werden im Mittelmeer von NGO-Schiffen gerettet. Dabei handelt es sich de facto um private Schiffe. Das Innenministerium und die NGOs müssen eine rigorose Einhaltung der Sicherheitsprinzipien garantieren. Der Verhaltenskodex ist eine Garantie für die NGOs selbst und für Italien", so Minniti.

Rom will nicht lange diskutieren

Der Innenminister gab zu verstehen, dass er nicht zu langen Diskussionen mit den NGOs über den Verhaltenskodex bereit sei, der bereits vom Parlament besprochen und der EU-Kommission vorgestellt worden sei. "Der Verhaltenskodex entspricht dem Willen des Parlaments und des Landes", so Minniti. Damit will Italien klare Regeln für die Rettungsaktionen im Mittelmeer aufstellen und hat damit für Verunsicherung bei den Hilfsorganisationen gesorgt. Sie fühlen sich kriminalisiert, weil sie sich bei den Rettungseinsätzen nach eigenen Angaben bereits an Recht und Gesetz auf See halten.

Nur im äußersten Notfall sollen die Schiffe der Hilfsorganisationen in libysche Hoheitsgewässer eindringen, so schreibt es auch das Internationale Seerecht vor. Der sogenannte Code of Conduct in seiner jetzigen Form untersagt den Helfern auch, Ortungsgeräte abzustellen und mit Lichtsignalen Schmuggler an der libyschen Küste zu ermuntern, Boote mit Migranten aufs Meer zu schicken. Außerdem sollen die NGOs den Behörden, auch der Kriminalpolizei, Zugang zum Schiff gewähren und ihre Finanzierung offenlegen.

Debatte nach Vorwurf eines Staatsanwalts

Seit ein sizilianischer Staatsanwalt einigen NGOs vorgeworfen hat, von Schleppern finanziert zu werden, sind die Nichtregierungsorganisationen in den Fokus der Debatte geraten. Belege für die Anschuldigungen gibt es nicht.

Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex stellte Anfang des Jahres fest, dass die Seenotretter mit ihrem Engagement Schleppern in die Hände spielten – unterstellte ihnen aber keine bösen Absichten. Vielmehr helfen demnach alle an Rettungen Beteiligten den Verbrechern unbeabsichtigt, ihre Ziele mit minimalem Kostenaufwand zu erreichen. Also auch die Küstenwache und Frontex selbst.

Weitere Hilfseinsätze

Während der Beratungen in Rom gingen Hilfseinsätze im Mittelmeer weiter. Die spanische NGO Proactiva Open Arms rettete 167 Migranten von einem Schlauchboot. 13 Menschen, darunter Schwangere und Mütter, konnten nur noch tot geborgen werden, teilte die Gruppe auf Twitter mit. Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee brachten mehr als 400 Personen in Sizilien an Land, darunter zahlreiche Kinder.

Die Hilfsorganisationen beklagen stets das Fehlen einer europäischen Rettungsmission auf dem Mittelmeer. 2016 kamen mehr als 180.000 Menschen über die zentrale Mittelmeerroute zwischen Libyen und Italien nach Europa. Mehr als 5.000 ertranken, weil Schlepper sie auf kaum seetüchtige und vollkommen überladene Boote aufs Meer schicken. In diesem Jahr starben bereits mehr als 2300 Menschen.

Am Dienstag stimmten die EU-Mitgliedsstaaten einstimmig einer Fortsetzung der 2015 gestarteten Operation "Sophia" zu, die vor der libyschen Küste ebenfalls Migranten rettet, dort aber eigentlich gegen Schlepper im Einsatz ist. Italien hatte die Verlängerung zunächst blockiert. Das Land versucht derzeit mit unterschiedlichen Vorstößen, der Vielzahl an ankommenden Geretteten aus dem Mittelmeer Herr zu werden und die EU-Partner zu einer größeren Lastenteilung zu bewegen. In diesem Jahr kamen bereits mehr als 93.300 Migranten an den heimischen Häfen an. (APA, dpa, red, 26.2017)