Die Sonne scheint, aber es regnet in ihrem Herzen: Lana Del Rey leitet von L.A. aus die Bewegung "Schwanengesang in Zeitlupe".

Foto: Adrian Krug

Wien – Achtung, das ist ein ernstes Problem: Der Unterschied zwischen Vintage, Retro und Replika wird speziell in der Welt von Pop und Fashion heiß diskutiert. Eigentlich aber ist er leicht erklärt. Vintage ist alt und original. Im Sinne, dass früher alles besser war, ist Retro eine möglichst originalgetreue Kopie. Und Replika kommen aus Asien, verwenden Polyester statt Seide, werden aber unter dem Motto "Same, same, but different" als echt verkauft.

Irgendwo in diesem für Interpretationen weit offenen Feld geistert auch Lana Del Rey herum. Wobei von der 2011 mit dem hübschen "Retro-Pop" des Songs Video Games bekannt gewordenen US-Sängerin im obligatorischen "Vintage-Look" alles bewusst in der Schwebe zwischen "echt" und "echt nicht!" gehalten wird.

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Das neue, mittlerweile vierte Album Lust for Life ist nun erschienen. Und wie seine Vorgänger Born to Die (2012), Ultraviolence (2014) und Honeymoon (2015) stellt die 32-Jährige sich dabei einmal mehr in die große amerikanische Erzähltradition von Sein und Schein, von großen Erwartungen und zerbrochenen Träumen, von einem Sonnenuntergang, in den man mit irgendeinem Benzinfresser aus den 1960er-Jahren rattert, bis nichts mehr geht und man in Kalifornien in den Pazifik kippt.

Ewige Dunkelheit

Im schleppenden Duktus und einer tief im Hallraum möglicherweise mittels Wurschtigkeitspillen ruhiggestellten und weitgehend emotionslos durch die amerikanische Nacht geisternden Stimme beschäftigt sich die Künstlerin seit jeher mit der Umkreisung eines existenziellen Traurigkeitsgefühls.

Auch wenn vom programmatischen Sad Girl, einem von David Lynchs Twin Peaks und Blue Velvet beeinflussten Schlurfer, gegenwärtig die schweren, nach ewiger Dunkelheit strebenden Inhalte von "unerträglich" Richtung "muss ja" abgemildert wurden – und Lana Del Rey heute sogar von Optimismus spricht: Es handelt sich bei den 16 neuen, mit Lust for Life, einem alten Drogensong Iggy Pops, überschriebenen Liedern Lana Del Reys 2017 keineswegs um eine Neuausrichtung. In der für ihre Verhältnisse spartanischen Klavierballade Change heißt es gegen Ende des Albums tückisch hoffnungsvoll: "There's something in the wind, I can feel it blowing in." Aber: "It's coming in softly, on the wings of a bomb."

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Davor wird in Songs wie Love, dem Titellied selbst oder in dem laut Del Rey feministisch inspirierten Stück God Bless America – And All The Beautiful Women In It kräftig Geschichte mit Aktualität verzahnt. Produziert mit den Produktionsstandards des aktuellen Hip-Hop und Gästen wie dem Rapper A$AP Rocky oder dem Produzenten Metro Boomin geht es um die Träume, die Hollywood verkaufte, als in den 1960er-Jahren der Lack langsam in Cinemascope abbröckelte und der Blues des weißen Mittelstandes, die Wohlstandsdepression, aus den Filmklaftern quoll.

Wir hören auf Lust For Life: lyncheske David-Lynch-Soundtracks, die auch einmal so richtig mit dicker Hose auf Breitwandmelodram-Format in Moll aufgeblasen und niedergeschlagen werden können. Beserlschlagzeug und irgendwie das schleichende Gefühl, dass der Bass nicht gern zu Fuß geht. Surfmusik im Wellental. Auf Valium reitende Girlbands der Sixties wie The Shangri-Las oder The Marvelettes. Halluzinogener, in den Vokalen weitgedehnter Schwanengesang. Nach Motorschaden klingende Stotterbeats aus den Forschungszentren für Cloud Rap und Trill Trap. Es finden sich allerdings auch antipolitische Politstatements wie When The World Was At War We Kept Dancing mit der im höheren Sinn zeitlosen Frage: "Is this the end of America?"

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Mit Gast Stevie Nicks, die in den 1970er-Jahren gemeinsam mit ihrer Band Fleetwood Mac und dem fantastischen Scheidungsalbum Rumours den kalifornischen Softrock zum Welthit machte und nebenher den Drogenmissbrauch mit Kreditkarte und Glastisch zum Höhepunkt führte, singt Lana Del Rey die Ballade Beautiful People Beautiful Problems. Sie verweist damit auf einen weiteren wichtigen künstlerischen Einfluss:

Man kann auch bei strahlendem Dauersonnenschein und heiter durchs Panorama ziehenden Melodien und Harmonien irgendwie total fertig sein. Das manifestiert sich auch im Styling ihrer Pressefotos mit verwaschenem, vergilbtem Polaroid-Look. Harter Stoff. (Christian Schachinger, 26.7.2017)