Wenn Motomichi Tomioka in der Früh aufwacht, denkt der 84 Jahre alte Japaner an "Las Vegas". Nicht an das Spieler-Paradies im fernen Amerika. Tomiokas "Las Vegas" ist eine Tagesbetreuungsstätte für Demenz-Patienten und andere pflegebedürftige Alte im japanischen Yokohama – eingerichtet wie ein Kasino. Dort spielen die Senioren bei Baccara und Mahjong um Fantasiegeld und sollen sich so – betreut von Pflegekräften – geistig rege halten.

Ähnlich wie in den westlichen Industriestaaten altert auch Japans Gesellschaft, sogar noch schneller. Millionen Menschen sind bereits an Demenz erkrankt, Tendenz steigend. Kreative Ideen wie das "Las Vegas" lohnen ein Blick auf das fernöstliche Land.

"In herkömmlichen Altentagesstätten in Japan sieht es zumeist eher deprimierend aus", erzählt der Betreiber der neu gestalteten Tagesstätte, Kaoru Mori. Der Japaner arbeitete früher selbst in solchen Einrichtungen – und bekam Mitleid.

Das tägliche Einerlei

Manche Demenz-Patienten und andere Senioren empfänden die Betreuungsprogramme dort als eintönig und frustrierend, erzählt er, während im Hintergrund Senioren an lärmenden Automaten spielen. Sie wollten nicht immer nur Papierfiguren falten oder Schablonen ausmalen. Um die Menschen aus ihrer Tristesse herauszuholen, kam Mori nach einem Besuch im amerikanischen Las Vegas auf den Einfall mit der Kasino-Attrappe.

Moris Tagesstätte ist ein ungewöhnlicher Versuch, mit einem Problem umzugehen, das der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt mit rund 126 Millionen Einwohnern zunehmend Kopfschmerzen bereitet: Bereits fünf Millionen Japaner sind an Demenz erkrankt. Das ist ein Anteil an der Bevölkerung über 65 Jahren von rund 15 Prozent.

In Japan wird schon 2025, wenn sieben Millionen Menschen über 75 Jahre alt sein werden, Schätzungen zufolge jeder fünfte Bürger über 65 Jahren Demenz haben. In dem fernöstlichen Staat landen die Betroffenen auch noch oft im Spital. "Diese Tendenz muss sich dringend ändern", forderte Masaki Muto von der International University of Health and Welfare Graduate School in Tokio.

Problem der Angehörigen

Ein großes Problem in Japan sei, dass Menschen, die zu Hause ihre alten Eltern pflegen, oft den Job kündigen müssten. Das Gesetz sehe zwar Pflegeurlaub vor, "aber es wird nicht überall konsequent durchgesetzt", erklärt Muto. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, die das Gros der Arbeitnehmer in Japan beschäftigen, könnten es sich nicht leisten, dass Angestellte Pflegeurlaub nehmen.

Um die Lage der Betroffenen zu verbessern, entstehen in Japan immer wieder kreative Projekte. So richtete ein Fernsehmanager in Tokio vor kurzem für drei Tage ein Lokal ein, in dem versuchsweise an Demenz erkrankte Frauen als Kellnerinnen arbeiteten. Das Lokal bekam den Namen "das Restaurant mit Bestellungs-Irrtümern" – eine amüsante Andeutung, dass die Kellnerinnen auch manchmal Bestellungen vergessen und etwas anderes servieren könnten. Der Betreiber überlegt laut Medienberichten, das Projekt im Herbst noch einmal aufzulegen.

Tag für Patienten

Nicht ganz unumstritten ist dagegen ein Einfall der Stadtverwaltung von Iruma bei Tokio: kostenlose, ein Zentimeter große Aufkleber mit einem QR-Code, den Demenz-Patienten auf dem Fingernagel tragen können. Der Code enthalte die Anschrift und Telefonnummer der Ortsverwaltung sowie eine Identifizierungsnummr, welche die Stadt vergibt, wie die Verwaltung auf ihrer Internetseite mitteilte. Wahlweise gebe es das auch als Anhänger oder Schuhaufkleber. Hintergrund der Initiative ist, dass in drei Jahren in Japan rund 10.000 Demenz-Patienten zumindest vorübergehend als vermisst gemeldet wurden.

Diese Sorge hat "Las Vegas"-Betreiber Mori nicht. "Von den Angehörigen hören wir, dass sich das Fortschreiten der Demenz bei unseren Besuchern verlangsamt", berichtete er. Auch der 84-jährige Tomioka kommt zwei Mal pro Woche. Der frühere Elektroniker besucht noch eine andere Betreuungsstätte. "Aber eigentlich mag ich es hier viel lieber", sagte der Senior strahlend. (APA, 24.7.2014)