Freundlichkeit und Strenge: Zumthors Kunstbau soll als erdbrauner Monolith die Kunst beherbergen.

Foto: Atelier Peter Zumthor

Unangestrengte Freundlichkeit: Renzo Pianos Museumsbau von 1997, inzwischen zeitlos in die Landschaft hineingealtert.

Foto: Mark Niedermann

"Ein Museum soll kein Rummelplatz sein": Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler.


Foto: Matthias Willi

Riehen bei Basel ragt als schmaler Zipfel Schweiz nach Deutschland hinein, doch der Ausblick in die Landschaft ist frei von Grenzen. Zumindest, wenn man aus Renzo Pianos 1997 eröffnetem Kunstmuseum Fondation Beyeler in sie hineinschaut. Seinerzeit als kleine Revolution der Museumsarchitektur gefeiert, vor allem dank seiner Deckenkonstruktion, in der der italienische Architekt das Tageslicht durch so viele Filter schickte, bis es genau richtig war für die Kunst.

20 Jahre: eine kurze Spanne für Architektur, eine lange für die Kunst. Museen sind inzwischen zu Flaggschiffen des Stadtmarketings geworden. Blockbuster-Ausstellungen, Events und Workshops gehören zum Pflichtprogramm. Auch in Basel spürte man den Drang zur Erneuerung: mehr Platz für die Sammlung, für Veranstaltungen und Experimente. Den Ort dafür fand man auf dem Nachbargrundstück: Dort verbirgt sich hinter unscheinbaren Häusern ein verwunschener Park mit prächtigen Bäumen. Also lud man elf Architekten nach Basel, davon vier aus der Schweiz, und ließ sie gegeneinander antreten.

Im Mai 2017 wurde Peter Zumthor als Sieger bekanntgegeben. Für den gebürtigen Basler ist es die erste Bauaufgabe in seiner Heimatstadt. Angesichts der oft sakralen Strenge seiner Bauten und seines Perfektionismus in Material und Detail wirkt sein Entwurf überraschend locker hingeworfen: ein dreigeschoßiger Kunstbau aus Stampfbeton, ein flacher Pavillon für Veranstaltungen und ein diskreter Verwaltungsbau. Wenn die Anforderungen an Museen so vielfältig sind, dass sie nicht mehr in ein Gebäude passen, ist das vielleicht eine Lösung: Statt sich zum spektakulären Raumschiff aufzuplustern, zerfällt es in Einzelteile und wird zum Dorf. "Zumthor hat als Einziger die Umgebung hier verstanden", freut sich Sam Keller. Im legeren blauen Anzug steht er exakt dort, wo in Zukunft der Dorfplatz entstehen soll. Der 51-jährige gebürtige Basler, bekannt geworden als Direktor der Kunstmesse Art Basel und Gründer der Art Basel Miami Beach, ist seit 2008 Direktor der Fondation Beyeler. Ein globaler Kunstmanager, der seiner Heimatstadt treu geblieben ist und dem es wie vielen Schweizern gelingt, gleichzeitig agil und bedächtig zu wirken.

STANDARD: Die Fondation Beyeler feiert dieses Jahr ihr Jubiläum mit der Ankündigung eines Erweiterungsbaus. Muss ein Museum heute mehr leisten als vor 20 Jahren?

Keller: Die Anforderungen sind komplexer geworden, aber das ist positiv. Museen sind heute offener für gesellschaftliche Entwicklungen und Experimente, Ausstellungen und Kunstvermittlung sind wichtiger geworden. Zu meiner Studentenzeit war die Museumspädagogik versteckt, heute ist sie ein zentraler Faktor.

STANDARD: Museen wie die Tate Modern in London öffnen sich heute für die Masse, was ihnen nicht selten zum Vorwurf gemacht wird.

Keller: Man muss aufpassen, was man verliert, wenn man was gewinnt. Wir wollen kein Museum sein, das ein bisschen was von allem hat. Aber wird wollen auch nicht die totale Flexibilität. Ein Museum soll kein Rummelplatz sein, aber auch kein Mausoleum.

STANDARD: Was bedeutet das für die Museumsarchitektur?

Keller: Architektur hat einen anderen Lebenszyklus als das, was darin passiert. Im Erweiterungsbau sollen in 50 Jahren Dinge stattfinden, die wir uns heute noch nicht vorstellen können. Diese Offenheit hat sich auch im Bau von Renzo Piano bewährt. Als Malereimuseum konzipiert, funktioniert er auch für Filme und Performance.

STANDARD: Früher hieß es, die Künstler wollen am liebsten neutrale "White Cubes", heute gibt es Museumsbauten von Frank Gehry oder Zaha Hadid, in denen vor lauter Architektur kaum Platz für die Kunst ist. Was wollen Sie?

Keller: Einen dritten Weg! Viele Künstler sind inzwischen von den globalisierten "White Cubes" gelangweilt. Sie wollen aber auch keinen Raum, der zu stark dominiert. Künstler wollen Räume mit Charakter, die sie so bespielen können, dass Kunstwerke optimal zur Geltung kommen. Renzo Piano hat das hervorragend gemacht: Wohlproportionierte Räume, aber mit Tageslicht und einem Bezug zur Landschaft. Peter Zumthor versucht, Gebäude zu bauen, die einen starken Charakter haben und in denen die Kunstwerke eine Hauptrolle spielen.

STANDARD: Der Kunstkonsum ist inzwischen Teil des Stadtmarketings geworden. Ist der Bezug zur Stadt heute wichtiger als früher?

Keller: Mehr als die Hälfte unserer Besucher ist international. Wir wollen aber nicht nur etwas für Kulturtouristen machen, sondern für die lokale Bevölkerung. Der Künstler Tino Sehgal führt momentan bei uns ein Performance-Projekt mit sechs Stationen auf, die sich über Monate entwickeln. Also ein Anreiz, immer wieder herzukommen, der sich vor allem an das lokale Publikum richtet.

STANDARD: Gibt es auch Besucher, die in erster Linie wegen der Architektur ins Museum kommen?

Keller: Ja. Oft sind es Koreaner und Japaner, die ums Gebäude herumgehen und es genau anschauen. Basel ist ein Architekturmekka geworden, und die Szene bereichert auch die Stadt. Allein bei Herzog & de Meuron arbeiten 300 Leute aus der ganzen Welt, die auch am kulturellen Leben teilnehmen.

STANDARD: Für den Erweiterungsbau waren die Lokalmatadore Herzog & de Meuron allerdings nicht auf der Shortlist.

Keller: Das war ein wohlüberlegter Beschluss des Stiftungsrats. Herzog & de Meuron sind hervorragende Architekten, und für mich kann es gar nicht zu viele Bauten von ihnen geben. Aber sie haben in Basel schon so viele Kulturbauten realisiert, dass sich wohl mancher gefragt hätte, ob es niemand anderes gäbe. Dass Zumthor ausgewählt wurde, ist eine schöne Fügung, weil er aus Basel stammt und nie hier gebaut hat.

STANDARD: Sie sind als Museumsmacher und Berater der ART BASEL global unterwegs. Haben Sie ein Lieblingsmuseum?

Keller: Es gibt viele tolle Museen. Aber wenn man überlegt, was architektonisch Spitzenklasse ist, bleibt wenig übrig. Für den Museumsgründer Ernst Beyeler war das Centre Pompidou der Quantensprung, was die Demokratisierung von Museen betrifft. Nicht elitär, aber auch nicht populistisch. Für mich gehören das Louisiana, die Fondation Maeght, das Kinbell und das Norton Simon architektonisch zu meinen Lieblingsmuseen.

STANDARD: Also keine heilige Kathedrale, die der Kunst eine Wichtigkeit verleiht?

Keller: Nein. Auch beim Erweiterungsbau ist uns das wichtig. Wir wollen kein Pathos, keine Überhöhung. Es ist ein profanes, kein sakrales Museum. Die Kunst soll die Hauptsache sein. (Maik Novotny, Album, 24.7.2017)