Der vierte Platz beim Bachmannpreis 2016 hat Stefanie Sargnagel das Stadtschreiberstipendium beschert, dessentwegen sie noch bis Ende Juli vermehrt in Klagenfurt weilt.

Lesereisen seien kein Urlaub, meint Sargnagel, da sei man immer in was eingebunden. Im Herbst sollen Kollegen wie Puneh Ansari und Klitclique sie begleiten.

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Stefanie Sargnagel, "Statusmeldungen". € 20,60 / 304 Seiten. Rowohlt, Hamburg 2017

Cover: Rowohlt

Die vergangenen fünf Monate hat Stefanie Sargnagel in Klagenfurt verbracht. Nicht durchgehend – und viel habe sie sich in einem "Kunstghetto" aus Musil-Institut und Theatercafé bewegt. Aber es hat ihr gefallen: Wald, See, mal ein anderes Shoppingcenter als die Lugner-City. "Das Kleinstadtleben chillt mich", sagt sie beim Gespräch zum Erscheinen ihres neuen Buches. Der Kärntenaufenthalt ist Teil des Publikumspreises beim Bachmannbewerb voriges Jahr, mit dem Antritt als Klagenfurter Stadtschreiberin im Februar endet Statusmeldungen.

Sieben solcher Interviews hat Sargnagel an diesem Tag. Vor einem Jahr hat sie die Termine noch selbst ausgemacht, nun erledigt das ihr Verlag. Mit dem dritten Buch ist sie von der Wiener Redelsteiner-Dahimène-Edition zum deutschen Riesen Rowohlt gewechselt. Der habe "am meisten Vorschuss gezahlt". Letztlich nütze diese Marktmacht, meint sie, aber auch dem kleinen Vorgänger, der Probleme gehabt habe, Binge Living (2013) und Fitness (2015) trotz großen medialen Traras im Handel zu platzieren: "Ich habe schon gut Bücher verkauft für einen Indieverlag, aber viel Geld verdienst du nicht, wenn du im Geschäft nicht vorne aufliegst." So bekämen wohl auch die alten Titel mehr Aufmerksamkeit.

Das Buch, ein langsames Medium

Worum geht es in Statusmeldungen? Es setzt im Sommer 2015 an und kommentiert in gewohnter Manier zum einen allgemeines Geschehen: Flüchtlingskrise, Zielpunkt-Pleite, Bundespräsidentschaftswahl. "Deutsche Touristen stehen vor dem Van-der-Bellen-Präsidentschaftswahlplakat, auf dem 'Für unser vielgeliebtes Österreich' steht. Die Frau zum Mann: 'Ist das der Nazi oder der andere?'", heißt es etwa zu Letzterer auf Seite 214 von 300. Dazu schlagen sich privat Erlebtes wie die Kündigung im Callcenter und der Bachmannpreis nieder.

Dass das Buch ein langsames Medium ist, wusste man bereits. Wie langsam es ist, dessen wird man in Anbetracht versammelter Facebook-Einträge wie "Ich wollt grad ein kleines Kind mit einem Stein abschießen, weil ich dachte, es wär ein Pokémon" von vor fast genau einem Jahr sehr gewahr. Pokémon sucht keiner mehr, Fidget Spinner sind der neue heiße Scheiß. Oder nicht mehr. Wer weiß das so genau. Die Welt dreht sich schnell heutzutage. Nur Papier ist in ihr noch geduldig.

Von der Magie zum Alltag

Diese zeitliche Distanz zu allem Notierten schmälert die Dringlichkeit des Bandes: Wozu jetzt noch? Allerdings treffen Sargnagels launige Wortmeldungen auch retrospektiv. "Ich habe gerade einer Gruppe Syrern den Weg zum Bahnhof erklärt, aber es war irgendwie nicht mehr dasselbe. Meine Augen haben nicht mehr so geleuchtet. Die Magie ist zum Alltag geworden", vermerkt sie am 4. 10. 2015. Nur wenige Seiten zuvor wurde das Schleppen von Flüchtlingen über die ungarisch-österreichische Grenze noch zum neuen liebsten Hobby erkoren.

Das Andersartige, das zum Alltag wird, war vielleicht einmal die größte Gefahr auch für Sargnagel selbst. Wenn sich nämlich ihre Variationen zum Grind, zum Faulsein, zum sozial devianten bis unerwünschten Verhalten, die ihr eine gewisse Alleinstellung gaben, einmal totgelaufen hätten. Manches im neuen Buch ist banal. "Ich lasse gerne viel weg, ich denke, es schadet nicht, wenn man reduziert", meint Sargnagel im Gespräch und hätte doch noch manches mehr weglassen können.

Abgesehen von einer Widmung am Anfang ganz aus dem Buch draußen hält sie die Hysteria. Die sei Privatsache meint sie. Zugleich war sie bisher deren Aushängeschild. "Ich will das jetzt ein bisschen trennen, weil die Hysteria eh so viel mit mir assoziiert wird. Ich will nicht, dass es so wirkt, als hätte ich sie gegründet. Es sind 80 Leute und da stehe ich nicht im Fokus. Das eine ist meine Burschenschaft und das andere die Sargnagel-Kunstfigur, die aus ihrem Leben erzählt."

"Ein schmutziger Mensch"

Die guten und besten Statusmeldungen sind aber Minimilieustudien, originell-genaue Beobachtungen und am spannendsten, wo sie über die Koketterie mit dem Regelbruch hinausgehen. Eine Japanreise schlägt sich dann so nieder: "Das Ruhige, Zarte, Zurückhaltende, Aparte in den Bewegungen des Alltags ist mir unheimlich. Es ist das erste Land, in dem ich mich wie ein plumper, wilder, schmutziger, lauter Mensch fühle."

Den Rückflug verpasst die Autorin, ein Ersatzticket um 900 Euro bringt sie heim. Den Erfolg, den sie mittlerweile hat, merkt man daran, dass sie sich das Ticket leisten kann. Und man merkt ihn an der tags darauf beginnenden Lesereise, die weitere Seiten füllt und sie etwa nach Mazedonien führt.

Jetzt würden sie auch Institutionen zu Lesungen einladen, die sich vorher nicht getraut hätten, meint sie. Das sieht sie als Effekt auch des "Kunststempels", den sie sich von der Bachmannpreisteilnahme erwartet habe. Zudem trinkt sie weniger – auch wegen der Lesereisen, bei denen mit den Veranstaltern zu trinken "immer mehr Teil des Jobs" geworden sei.

Weniger Aufwand, mehr Wirkung

Bricht da ein Businessplan in die Lebensplanung ein? Nicht ganz. Die Hoffnung der 31-Jährigen an die Rowohlt-Maschine lautet nicht zuletzt mehr Wirkung bei weniger Aufwand: "Für mich bedeutet Erfolg ja auch ein bisschen Narrenfreiheit, und Geld heißt Freizeit." Die wiederum erlaubt ihr, länger zu schlafen. "Wenn ich jetzt aufstehe, ist die U-Bahn-Zeitung meistens schon aus. Allein dass ich nicht mehr jeden Tag Heute lese, verändert meine Wahrnehmung von der Welt."

Ob das alte Image bei all dem Erfolg noch mitkomme? "Ich habe das Dosenbier und so immer stilisiert, vor allem die Verweigerung hervorgehoben. Aber jetzt denke ich mir, es kommen neue 20-Jährige nach, ich muss nicht für immer ein spätpubertärer Suffpunk bleiben. Ich kann mich verändern. Eine gewisse Haltung ändert sich ja trotzdem nicht." (Michael Wurmitzer, 22.7.2017)