Zwei Monate vor dem vom kurdischen Präsidenten Masoud Barzani geplanten Referendum um die Unabhängigkeit Kurdistans hat der Provinzrat von Ninive Faiz Abed Jahwareh, den Bürgermeister von al-Qosh, abgesetzt und durch einen Barzanis Demokratischer Partei Kurdistans (PDK) nahestehenden Lokalpolitiker ersetzt. Al-Qosh ist die einzige christliche aramäischsprachige Stadt der Ninive-Ebene, die im August 2014 nicht vom IS erobert wurde. Die der chaldäischen Kirche angehörigen Bewohner des Ortes sprechen nicht Kurdisch, sondern neben ihrer neuostaramäischen Muttersprache auch Arabisch als Verkehrs- und Bildungssprache. Bis 1949 gab es hier auch eine große, ebenfalls aramäischsprachige, jüdische Gemeinde. Die Synagoge mit dem Grab des Propheten Nahum steht heute noch – einsturzgefährdet – als eine der letzten Synagogen des Irak und wird von einer christlichen Familie betreut, der die Juden damals den Schlüssel anvertraut haben.

Die stark baufällige Synagoge von al-Qosh mit dem Grab des Propheten Nahum.
Foto: Thomas Schmidinger

Befreier oder Besatzer?

Schon mehrmals hatten die kurdischen Behörden in den vergangenen Jahren versucht den parteiunabhängigen Bürgermeister der Stadt abzusetzen und durch einen Gefolgsmann von Barzani zu ersetzen. Zuletzt hatten dies Proteste der Bevölkerung 2015 verhindert. Die Bevölkerung der Stadt selbst ist allerdings gespalten: Während ein Teil durchaus Barzanis PDK unterstützt und eine Zukunft innerhalb Kurdistans sieht, betrachtet ein anderer Teil die Kurden als Besatzer. Vor allem die Mitglieder der Assyrischen Demokratischen Bewegung, einer der größten christlichen Parteien des Irak, die mit den im Dezember 2014 zur Verteidigung gegen den IS aufgebauten Verteidigungseinheiten der Ninive-Ebene über eine eigene, im Rahmen der Volksmobilisierungseinheiten registrierte Miliz verfügt, wehren sich gegen die kurdische Vorherrschaft.

Im Irak fürchten nun Christen und Jesiden um ihre Existenz."
Foto: Thomas Schmidinger
Masud Barzani ließ einen Bürgermeister in der Ninive-Region durch einen Gefolgsmann ersetzen.
Foto: APA/AFP/SAFIN HAMED

In der Stadt selbst kann man sehr verschiedene Meinungen zum Verhältnis zu den Kurden hören. Während ein Teil der Bewohner fürchtet, dass die Kurden auch noch das letzte, mehrheitlich christlich-aramäische Gebiet durch die gezielte Ansiedlung von Kurden "kurdisieren" könnten, sehen andere in den Kurden zumindest eine Alternative zu den sunnitischen Arabern in Mosul, von denen viele den IS unterstützt hatten.

Am Ortseingang von al-Qosh zeigt Barzanis PDK demonstrative Präsenz.
Foto: Thomas Schmidinger

Verunsicherte Minderheiten

Sowohl die christlichen Aramäer der Ninive-Ebene als auch die Jesiden aus Sindschar forderten immer wieder eigene Provinzen für ihre Minderheiten, fürchten seit der Zerschlagung des IS in der Region allerdings, dass sich die Regionalregierung Kurdistans und die Zentralregierung des Irak auf eine Aufteilung ihrer Regionen verständigen könnten. Sowohl Jesiden als auch Christen würden damit noch stärker marginalisiert.

Das Rabban Hormizd-Kloster aus dem 7. Jahrhundert nach Christi.
Foto: Thomas Schmidinger

Die Ninive-Ebene, an deren Rand al-Qosh liegt, gehört zu den ältesten christlichen Siedlungsgebieten im gesamten Mittleren Osten. In der Region liegen frühchristliche Klöster, von denen zwar viele vom IS zerstört wurden, die allerdings immer noch von enormer kultureller Bedeutung sind. Direkt in den Bergen hinter al-Qosh erhebt sich mit dem Rabban Hormizd-Kloster eines der ältesten, noch in Betrieb befindlichen Klöster des Irak. Nach dem Genozid an den Assyrern aus der Region des heute türkisch-kurdischen Hakkari im Jahr 1915, wurden hier zu den bereits bestehenden aramäischen Siedlungen auch die überlebenden Assyrer angesiedelt. Während die meisten christlichen Städte der Region 2014 vom IS eingenommen wurden, blieb al-Qosh unzerstört. (Thomas Schmidinger, 24.7.2017)

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