Der Niederländer Frans Timmermans ist Vizepräsident der EU-Kommission. In dieser Funktion kritisierte er am Mittwoch die geplante Justizreform in Polen scharf.

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Es ist nicht so, dass die EU-Kommission nichts getan hätte. Sie hat in dem seit Jänner 2016 schwelenden Streit mit Polen um die Justizreform bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und vor weiteren Schritten gewarnt. Doch die Regierung zeigte sich unbeeindruckt und wollte im Eilverfahren ihre weiterführenden Pläne in beiden Kammern, in denen die rechtsnationale PiS die Mehrheit hat, durchpeitschen.

Zwar werden auch in Österreich etwa die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs auf Vorschlag der Bundesregierung, des Nationalrats oder des Bundesrats ernannt. Aber das polnische Modell ist weitreichender als in anderen EU-Staaten: Bisher ging es vor allem um das Verfassungsgericht, nun will die Regierung sogar auf die Besetzung aller Richter im Land – inklusive jener des Obersten Gerichtshofs – Einfluss nehmen. Mit einer zusätzlich installierten Disziplinarkammer hätte das Justizministerium außerdem die Möglichkeit, jeden Richter im Land abzuberufen – ohne Angabe von Gründen. Der Justizminister könnte unliebsame Richter einfach absetzen und solche, die der Partei nicht passen, nicht ernennen.

Gewaltenteilung ausgehebelt

Damit sind nicht nur politischer Einflussnahme und möglichem Missbrauch Tür und Tor geöffnet, sondern die Gewaltenteilung wird ausgehebelt. Selbst Präsident Andrzej Duda, häufig als Marionette der PiS-Führung bezeichnet, drohte mit Veto und spricht von "politischem Diktat".

Rechtsstaatlichkeit ist eine der Grundlagen, auf denen die EU beruht und an die sich alle 28 Mitgliedsstaaten zu halten haben. Die Kommission als Hüterin der Verträge, die auch gegen Polen schon mehrere Dutzend Vertragsverletzungsverfahren einleitete, musste auf diesen eklatanten Bruch des Grundprinzips der Gewaltenteilung reagieren. Sie hat dies in der für sie schärfstmöglichen Form getan. Dazu mögen auch Forderungen aus dem EU-Parlament und die massiven Protestaktionen der Bürger in Polen beigetragen haben.

Schwerste Waffe aus Bedrohungsarsenal

Wegen der "systematischen Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit" droht Brüssel, Artikel 7 auszulösen. Damit holt die Kommission die schwerste Waffe aus ihrem Bedrohungsarsenal, denn im äußersten Fall könnte dies den Entzug der Stimmrechte des betreffenden Mitgliedslandes zur Folge haben.

So weit wird es vermutlich nicht kommen, denn es lässt sich leicht voraussagen, dass Ungarn dann Polen zur Seite springen und die schärfsten Sanktionen verhindern wird – auch aus Eigennutz. Denn erst vor einer Woche hat die EU-Kommission wegen des NGO-Gesetzes in Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet – mehr als 66 wurden bereits eröffnet. In der Vergangenheit schreckte Regierungschef Viktor Orbán doch immer wieder davor zurück, den Konflikt mit der Kommission auf die Spitze zu treiben. Die EU kann etwas bewirken, wenn sie denn handelt.

Die Kommission muss sich ohnehin die Frage stellen lassen, warum sie nicht schärfer auf die jüngsten Plakate reagiert hat, auf denen mit antisemitischen Anspielungen George Soros in Ungarn diffamiert wurde.

Die EU geht mit ihrer Drohung, Polen das Stimmrecht zu entziehen, in die Selbstverteidigung. Was die PiS umsetzen will, ist eine rechte Rechtsreform. Das Aushebeln des Rechtsstaats ist weit mehr als die ebenso wenig akzeptable Weigerung, Beschlüsse wie die Aufnahme von Flüchtlingen umzusetzen. Hier geht es um einen zentralen Grundwert der Staatengemeinschaft. (Alexandra Föderl-Schmid, 19.7.2017)