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Der Immobilienboom in Australien hat viele Gründe: Steuerprivilegien, steigende Einwandererzahlen, Planungsunwillen, Bürokratie – swelbst ein Parkplatz kann hier schon ein Vermögen kosten.

Foto: Reuters / Tom Westbrook

Miranda M. hat die Suche nach einem Eigenheim aufgegeben. "Ich werde mein Leben lang Mieterin bleiben", sagt die 29-Jährige in Sydney. Der Ton in ihrer Stimme zeigt Verbitterung, aber auch Scham. "Nennen Sie meinen Namen nicht", sagt sie. Obwohl sie ein "sehr gutes Gehalt" habe, reiche ihr Erspartes nicht einmal für die marktübliche Anzahlung von zehn Prozent des Kaufpreises.

Die Büromanagerin eines Anwalts ist mit ihrem Schicksal nicht allein: Millionen von jungen Australiern werden kaum je eine Gelegenheit haben, ihren Traum zu realisieren, ein Eigenheim zu kaufen oder auch nur eine Wohnung – in einer Stadt, in der schon ein Parkplatz ein Vermögen kostet. Im Stadtzentrum von Sydney steht ein Doppelparkplatz zum Verkauf – für 400.000 australische Dollar (267.000 Euro). Das Interesse sei groß, freut sich der Verkäufer.

Eine Sache für Millionäre

Das ist extrem – auf jeden Fall, ungewöhnlich aber nicht. Im Großraum Sydney liegt der Durchschnittspreis für ein Haus bei über 1,1 Millionen Dollar. Melbourne ist mit 825.000 Dollar etwas billiger. Geradezu ein Schnäppchen ist Brisbane: Dort genügen 655.000 Dollar für ein Eigenheim. Allerdings – wie auch in den anderen Städten – nur in den Vororten. Wer in der Innenstadt wohnen will, legt in einer der australischen Großstädte schnell einmal Millionen auf den Tisch. Wer in Sydney eine Zwei- oder Drei-Zimmer-Wohnung mit Meeresblick sucht, muss Millionär sein oder einen reichen Vater haben.

Die seit Jahren unaufhaltbaren Preisanstiege für Wohneigentum in vielen Gebieten Australiens haben Folgen für Privathaushalte. Im globalen Vergleich sind Australier ohnehin schon überdurchschnittlich hoch verschuldet. Heute pumpen sie 39 Prozent ihres Einkommens in das Abzahlen ihrer Hypothek, doppelt so viel wie noch vor 30 Jahren.

"Housing stress" nimmt zu

Die hohen Preise nagen am Fundament der australischen Gesellschaft. Seit der Nachkriegszeit hatte das Land einen der höchsten Eigenheimbesitzanteile der westlichen Welt: 2011 besaßen 67 Prozent aller Haushalte ihre eigenen vier Wänden, 1966 waren es noch 71,4 Prozent. Es war selbstverständlich, dass man im jungen Alter nach der Heirat Wohneigentum erwarb, es über 30 Jahre abbezahlte, die Immobilie verkaufte und sich damit den Lebensabend finanzierte.

Nicht mehr: Australien werde wohl im Verlauf einer Generation zu einem Land von Mietern, fürchten Kommentatoren wie der Soziologe Bernard Salt. Nicht dass das Mieten einfacher wäre. Vor allem in den Großstädten fehlt es chronisch an Wohnungen, dementsprechend entwickeln sich die Preise. Dass sich selbst für qualitativ minderwertige und offensichtlich überteuerte Mietwohnungen Dutzende, wenn nicht Hunderte von Interessenten melden, ist die Norm. Analysten sprechen von der wachsenden Gefahr des "housing stress": Selbst mittelständische Gutverdiener finden sich plötzlich auf der Straße, weil sie keine Mietwohnung finden oder bezahlen können.

"Unfaire" Vergünstigungen

"Negative gearing", so nennt sich das Abziehen aller mit einer Investition verbundenen Kosten in der Steuererklärung. Kritiker sehen dieses vom Fiskus verliehene Privileg für Investoren als eine der Hauptursachen für die Krise. Ob Hypothekenzahlungen, Renovierungskosten oder ein neuer Gasherd – wenn Eigentümer mehr für eine Investitionsimmobilie ausgeben, als sie durch Vermietung einnehmen, schrumpft in der persönlichen Bilanz des Besitzers das steuerbare Einkommen.

Kritiker vor allem aus dem linken politischen Lager fordern seit Jahren die Abschaffung dieser ihrer Meinung nach "unfairen" Vergünstigungen. Selbst Luci Ellis, Mitglied der Notenbank Australiens, meint: "Wenn ein Anleger eine Immobilie kauft, kauft sie ein Eigennutzer nicht."

Doch die Abschaffung des "negative gearing" wäre politischer Selbstmord. Bei durchschnittlichen Renditen von – je nach Lage – vier bis mehr als zehn Prozent zählen Immobilien in Australien zu den beliebtesten Anlageformen. Jeder sechste Steuerzahler besitzt ein Mietobjekt. Das sind Millionen von Wählern.

Schuldzuweisungen

Die Anhänger des Status quo behaupten, "negative gearing" trage nicht zur Verknappung des Angebotes und zur Preiseskalation bei. Im Gegenteil: Anleger riskierten ihr eigenes Kapital – oder das Geld ihrer Bank –, um Wohnraum für Mieter zu schaffen. Sie sehen andere Gründe für die Malaise. Der konservative Schatzkanzler Scott Morrison macht die Bundesstaaten für eine Knappheit an Land verantwortlich.

Tatsächlich: Gerade im Großraum Sydney – mit fünf Millionen Einwohnern die am schnellsten wachsende Stadt – fehlt es chronisch an Bauland. Bürokratie, ein Mangel an finanziellen Mitteln für Straßen und öffentliche Verkehrsmittel, aber auch simple Inkompetenz der politisch Verantwortlichen erhöhen den Druck auf den bestehenden Bestand.

Ein weiterer Grund für die Entwicklung in den Großstädten ist fast tabu: steigende Einwanderungszahlen. Sydney ist traditionell der erste und oft auch permanente Aufenthaltsort für Neuaustralier. Die konservative Regierung schafft es seit Jahren geschickt, die Öffentlichkeit mit fremdenfeindlicher Polemik gegen ein paar tausend Asylsuchende besorgt und aufgebracht zu halten.

Zuwanderer als Konkurrenten

Es wird dagegen kaum diskutiert, dass Australien pro Jahr bis zu 200.000 in der Regel beruflich Qualifizierte ins Land lässt und mit Daueraufenthaltsbewilligung ausstattet sowie weitere Tausende mit beschränkteren Aufenthaltsbewilligungen versieht. Dieser Zuwachs hat Folgen. Nicht nur wächst der Druck auf den ohnehin mageren Wohnungsbestand. Viele der Zuwanderer sind wohlhabend – allen voran jene aus China. Sie erweisen sich bei Auktionen als entschlossene und kapitalkräftige Opponenten lokaler Interessenten.

Miranda M. sieht sich "als Verliererin des Immobilienbooms". Doch es gibt auch viele Gewinner. Armeen von Frührentnern haben ihr Haus in Sydney verkauft, sind aufs Land gezogen und haben für immer ausgesorgt. Oder Frauen wie Joanna Robinski. Sie hatte in den 1990er-Jahren für ihr Reihenhaus 192. 000 Dollar gezahlt. Im Jänner entschloss sie sich zum Verkauf – über eine Auktion. Der Hammer fiel bei 1,7 Millionen Dollar. (Urs Wälterlin aus Sydney, 17.7.2017)