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Die Macht von Indiens Staatsoberhaupt beschränkt sich ähnlich wie in Österreich vor allem auf Zeremonielles.

Foto: REUTERS/Adnan Abidi

Den Asanas, jenen Übungen also, die auf möglichst stabile Haltung und ruhiges Atmen abzielen, wird von Yogis rund um den Globus befreiende Wirkung zugeschrieben. So begab sich auch der Mann, der künftig an der Spitze der größten Demokratie der Erde steht, am ersten Tag seines neuen Lebens erst einmal in den Lotussitz.

Nicht allein freilich, sondern zusammen mit tausenden Gleichgesinnten, mitten auf dem Connaught Square im Zentrum der indischen Hauptstadt Neu-Delhi – und beäugt von Journalisten, die sich des neuen Stars der subkontinentalen Politik erst gewahr werden mussten. Schließlich ist derlei Körperlichkeit in einem Land, in dem Menschen wie Ram Nath Kovind (71) vor nicht allzu langer Zeit nicht berührt werden durften, geschweige denn hohe Ämter bekleideten, noch immer nicht alltäglich.

Der Jurist, seit 43 Jahren verheiratet, ein Sohn, eine Tochter, gehört der untersten Kaste der traditionellen hinduistischen Gesellschaftsordnung an, den Dalit, die man früher verächtlich "Unberührbare" nannte. Es war am Weltyogatag, als der Gouverneur des bitterarmen, an Nepal grenzenden Bundesstaats Bihar in die Metropole kam, um offiziell als Kandidat der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) für das Amt des Staatspräsidenten präsentiert zu werden. Nun, einen Monat später, hat er sein Ziel fast erreicht.

Nicht der erste Dalit-Präsident

Dass sein Aufstieg das Schicksal der 150 Millionen Dalit in Indien zum Besseren wendet, ist unwahrscheinlich. Schon vor zwanzig Jahren zog mit dem Diplomaten K. R. Narayanan ein Vertreter der Kaste in den noch für den britischen Vizekönig erbauten Palast Rashtrapati Bhavan ein. Auch er vermochte nicht zu bewirken, was schon Mahatma Gandhi für die von ihm so genannten "Kinder Gottes" vorgeschwebt war: die Abschaffung des 3.500 Jahre überdauernden Kastensystems, das die Dalit bis heute an den Rand der Gesellschaft drängt – allem präsidialen Brimborium zum Trotz.

Dass ausgerechnet die hindu-nationalistische BJP von Ministerpräsident Narendra Modi, die lange als Klientelpartei der herrschenden Kaste der Brahmanen galt, nun einen "Unberührbaren" zum – wenn auch vor allem mit zeremonieller Macht ausgestatteten – kraft ihrer Dominanz im Parlament zum Staatsoberhaupt macht, ist für Beobachter mehr dem Wahlkalkül geschuldet denn dem Streben nach Versöhnung. Ohne die Stimmen der Dalit nämlich kann die BJP ihre Macht nicht langfristig sichern.

Als Präsident soll Kovind nun auch all jene Dalit an die Partei binden, die von deren Beharren auf dem diskriminierenden Kastenwesen eigentlich verprellt würden. Ob sein Atem reicht, um Indiens unterdrückte Massen zu befreien, wird sich weisen. (Florian Niederndorfer, 17.7.2017)