Das blieb von der Al-Nuri-Moschee im irakischen Mossul übrig, in der Abu Bakr al-Baghdadi Anfang Juli 2014 sein "Kalifat" verkündete.

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Der IS-Chef selbst dürfte tot sein.

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Ist er nun wirklich tot? Was die USA – die Abu Bakr al-Baghdadi wohl gerne selbst erwischt hätten – nicht definitiv bestätigen wollen, wird von vielerlei Seiten als sehr wahrscheinlich eingeschätzt. Die erste Meldung, dass der "Kalif" des "Islamischen Staats" bei einem russischen Luftangriff bei Deir al-Zor in Syrien gestorben sei, kam Mitte Juni von russischen Militärs. Beweise gibt es offenbar nicht, aber die Hinweise verdichten sich, laut irakischen Medien auch innerhalb des IS. Mit dem Großteil seines Territoriums hätte der IS demnach auch die Person verloren, die ihn zu dem gemacht hat, was er seit 2014 ist: der Schrecken der Welt.

Wenn Osama Bin Laden, der 2011 von einem US-Sonderkommando in Pakistan getötete Al-Kaida-Führer, einen Nachfolger gehabt hat, der in Einfluss und Entsetzen an ihn heranreichte, dann war es Abu Bakr al-Baghdadi. Sein "Islamischer Staat" stellte Al-Kaida in den Schatten. War Bin Laden in Afghanistan mit den Taliban ein symbiotisches Verhältnis eingegangen und hatte dadurch "regiert", so schuf al-Bagh dadi in Syrien und dem Irak völlig neue territoriale Tatsachen und errichtete etwas, das in der Politikwissenschaft etwas kompliziert "Quasi-de-facto-Regime" heißt. Also eine Entität mit manchen Funktionen wie ein Staat – die jedoch gleichzeitig eine Mordmaschinerie war.

Optisch unauffälliger Kalif

Die Utopie dieses "Staats" übte teilweise große Anziehungskraft auf verunsicherte, meist junge Muslime und Musliminnen aus aller Welt aus. Viele von ihnen kamen in Syrien und im Irak um. Ihr "Kalif" teilt ihr Schicksal.

Dem Westen wird das Gesicht Abu Bakr al-Baghdadis nicht als Ikone des Terrors in Erinnerung bleiben – wie jenes Osama Bin Ladens, der von seinen Gefolgsleuten als Charismatiker verehrt wurde und sich regelmäßig auf Videos zu Wort meldete. Das Aussehen des optisch eher unauffälligen Abu Bakr al-Baghdadi kannten nur wenige. Der IS-Chef, von dem es nur wenige Fotos gibt, blieb eher im Hintergrund.

Dazu gehörte auch, dass er nicht seinen eigenen Namen benützte: Geboren wurde der Iraker 1971 als Ibrahim Awad al-Badri in Samarra, was ihm den Beinamen al-Samarrai bescherte. Sein Vater Awad war ein angesehener Mann im Stamm der Al Bu Badr, der als einer jener irakischen Stämme gilt, die vom Propheten Muhammad abstammen.

Keiner starb im Bett

Al-Baghdadis Zurückhaltung mag mit dem Schicksal seiner Vorgänger an der Spitze der Organisation, aus der 2014 der "Islamische Staat" wurde, zu tun gehabt haben: Abu Musab al-Zarqawi wurde 2006, Abu Omar al-Baghdadi 2010 von US-Truppen getötet. Aber er war wohl auch kein großer Showman: Sein Auftritt in der Großen Moschee in Mossul Anfang Juli 2014 – also vor fast genau drei Jahren –, wo er sich zum Kalifen Ibrahim erklärte, zeigte einen eher unauffälligen Mann. Dem entsprechen Berichte von Weggefährten, die ihn als schüchtern und ruhig beschrieben. Sogar einen Sprachfehler dichtete man ihm an, weil er so selten öffentlich redete.

In seinen Kreisen galt er als hochgebildet: Er habe in Bagdad Islamwissenschaften studiert und abgeschlossen, hieß es auf jihadistischen Webseiten. Daher kommt das häufige Dr. vor seinen vielen Alias-Namen, etwa Dr. Abu Dua (Vater des Gebets). In seiner Verwandtschaft sollen sich weitere Islamgelehrte befinden.

Von den Amerikanern entlassen

In seiner Biografie gibt es Lücken – die oft mit fantastischen Behauptungen gefüllt wurden, etwa über seine Ehen, darunter angeblich mit einer jungen Deutschen. Eine andere Ehefrau, Saja al-Dulaimi – beider Wege hatten sich aber bereits vor seinem Aufstieg an die IS-Spitze getrennt –, wurde 2014 im Libanon verhaftet und 2015 im Rahmen eines Gefangenenaustauschs wieder freigelassen.

Auch über seine Internierung durch die Amerikaner im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 gab es viele unbestätigte Geschichten. Gesichert ist nur seine Haft, zuerst in Abu Ghraib und dann in Camp Bucca im Februar 2004, von wo er als "low level prisoner" noch im gleichen Jahr wieder entlassen wurde.

Die Organisation, die damals den Namen "Islamischer Staat im Irak" (ISI) trug und zu Al-Kaida gehörte, übernahm Abu Bakr al-Bagh dadi 2010 in einem Zustand des Niedergangs: Al-Kaida galt im Irak als weitgehend besiegt. Aber dann kam ihm der Aufstand in Syrien zu Hilfe, wo sich der ISI engagierte und zum ISIS weiterentwickelte: dem "Islamischen Staat im Irak und Syrien". Dieser profilierte sich auf Kosten der ebenfalls zu Al-Kaida gehörenden Nusra-Front und wollte sie schlucken: Das veranlasste Al-Kaida-Führer Ayman al-Zawahiri, den Nachfolger Osama Bin Ladens, al-Baghdadi zur Ordnung zu rufen. Worauf dieser sich von Al-Kaida lossagte und diese alsbald überflügelte.

Der Traum von Mossul

Von Syrien, wo der ISIS gemeinsam mit anderen Gruppen – die danach ausgebootet wurden – Raqqa eingenommen hatte, schwappte die Terrororganisation wieder in den Irak zurück und nahm im Juni 2014 handstreichartig die zweitgrößte Stadt des Landes, Mossul, ein. Und aus ISIS wurde daraufhin IS: der "Islamische Staat". Ohne geografische Bezeichnung, aus zweierlei Gründen: den Irak und Syrien sollte es ja nicht mehr geben, und das utopische Ausbreitungsgebiet des IS war – die ganze Welt.

Unter US-Führung schaltete sich eine internationale Militärkoalition ein, in Syrien stieg auch Russland und das Assad-Regime – das politisch vom Aufstieg des IS profitierte – in den Kampf ein. Anfang 2016 begann der IS mit dem Verlust Ramadis wieder signifikant zu schrumpfen. Gleichzeitig stieg die Paranoia, die Angst vor Verrätern, innerhalb der Organisation, die ihre eigenen Kinder zu fressen begann. Im Oktober 2016 startete die große Offensive auf Mossul, von wo al-Baghdadi Anfang des Jahres 2017 nach Syrien flüchtete. Die Siegesmeldung der irakischen Armee hat der IS-Chef wohl nicht mehr erlebt.

Dass der "Islamische Staat" mit dessen Tod am Ende ist, glaubt niemand. Die Iraker werden vielleicht ihre Dominanz in der Organisation einbüßen – und der IS könnte an der Spitze internationaler werden. Das sind keine guten Nachrichten. Nach dem Verlust des Territoriums bleibt dem IS als Operationsgebiet – die ganze Welt. Solange es den IS gibt, ist Abu Bakr al-Baghdadi nicht tot. (Gudrun Harrer, 12.7.2017)