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Ein Restaurant in der spanischen Kleinstadt Ronda. Die Krise hat Spaniens Arbeitsmarkt verändert. Jobs in der Industrie gingen verloren, dafür entstanden schlechter bezahlte Arbeitsplätze im Gastgewerbe.

Foto: Reuters

Immer wieder lobt Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy seine eigene Reformpolitik in höchsten Tönen. Die Krise, die dem Euro 2012 fast den Garaus machte, ist für Rajoy Geschichte. Die Zahlen geben dem Konservativen, der sich des Beifalls der restlichen europäischen Regierungschefs gewiss ist, recht. 2017 ist das dritte Jahr in Folge, in dem die Wachstumsrate bei über drei Prozent liegt. Die Arbeitslosigkeit ist von knapp 21 Prozent mittlerweile auf unter 18 Prozent gesunken. Das durch die Bauspekulation angeschlagene Bankensystem wurde erfolgreich mit EU-Geldern gerettet.

Hohe Arbeitslosigkeit

Doch was Rajoy vergisst, ist das, was unten davon ankommt. Eine neue Caritas-Studie zeigt, dass 70 Prozent der Spanier keinerlei Besserung ihrer Lage verzeichnen. Mit 18 Prozent Arbeitslosigkeit lebt weiterhin jeder vierte Arbeitslose der Eurozone in Spanien. Über 43 Prozent der jungen Menschen sind ohne Arbeit. Die Hälfte der Arbeitslosen erhält keine Stütze mehr.

Der Rückgang der Arbeitslosigkeit hat nur bedingt etwas mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu tun. So sind seit Beginn der Krise mehr als doppelt so viele Spanier ausgewandert wie zuvor. Knapp 800.000 junge Menschen suchen Arbeit irgendwo in Europa oder in Übersee. Viele Immigranten, die zu der Zeit des Baubooms ins Land kamen, gingen zurück in ihre Heimat. Frustrierte Arbeitssuchende melden sich längst nicht mehr beim Arbeitsamt. Die Gesellschaft veraltet. All das führt zu einem Rückgang der aktiven Bevölkerung.

Industriearbeitsplätze gingen verloren

Die Krise hat Spaniens Arbeitsmarkt grundlegend verändert. Industrielle Arbeitsplätze gingen verloren. Neue entstehen im Hotel- und Gaststättengewerbe. Dort liegt nicht nur das Lohnniveau weit unter dem, was in der Industrie und auf dem Bau üblich war, die Verträge sind prekär. Nur knapp acht Prozent der neuen Arbeitsverhältnisse verfügen über einen Festvertrag. Der Rest ist befristet und meist auch noch in Teilzeit. Selbst Verträge mit einer Stunde am Tag sind keine Seltenheit. Jeder Dritte kann von seinem Job nicht leben.

Wo früher ein mehr oder weniger gut bezahlter Arbeiter angestellt war, sind es heute drei oder vier schlecht bezahlte. Berufseinsteiger und junge Menschen sind am meisten von dieser Entwicklung betroffen. Ihnen fehlt jede Zukunftsperspektive. Nur jeder Fünfte zieht mit unter 30 Jahren von zu Hause aus. Im europäischen Schnitt ist es jeder Zweite.

Spanien ist mittlerweile eines der Länder Europas, in denen die soziale Schere am weitesten auseinandergeht. 28,6 Prozent der Bevölkerung leben unter oder an der Armutsgrenze. Während 2006 die zehn Prozent der reichsten Spanier über ein zehnmal so hohes Einkommen verfügten wie die unteren zehn Prozent, verfügen sie jetzt über ein 15-mal so hohes.

Die Löhne der unteren zehn Prozent sind um 28 Prozent zurückgegangen, die der Mittelschicht um acht Prozent, während die Einkommen der Besserverdienenden ständig steigen. Gleichzeitig hat die Zahl der Millionäre um mehr als 50 Prozent zugenommen.

Jahr für Jahr wird eine Obergrenze der Ausgaben für Regionen und Gemeinden festgelegt, bei gleichzeitiger Steuersenkung. Das führt zu weiteren Sparmaßnahmen und Privatisierungen, vor allem im Gesundheits- und Bildungswesen.

Außerdem ist die Rentenkasse leer. Die Regierung bediente sich bei den Rücklagen, um eigene Staatsanleihen aufzukaufen. 70 Milliarden Euro verschwanden so aus der Sozialversicherung, die vor der Krise zu den bestabgesicherten in Europa zählte. Gleichzeitig werden aus der Bankenrettung 60 Milliarden Euro wohl für immer verloren sein.

Portugal ist anders

Dass es auch anders gehen kann, zeigt der kleine Nachbar Spaniens, Portugal. Dort weicht eine sozialdemokratische Minderheitsregierung, die von linken Parteien unterstützt wird, seit Ende 2015 beharrlich und gegen den Widerstand aus Brüssel die Austeritätspolitik auf. Premier António Costa hob den Mindestlohn um 25 Prozent an. Kürzungen bei Renten und Gehältern im öffentlichen Dienst wurden zurückgenommen.

Und soziale Programme, wie zum Beispiel gegen das Abdrehen von Strom und Gas bei Zahlungsunfähigkeit, wurden ins Leben gerufen. Außerdem nahm Costa teilweise die Mehrwertsteuererhöhung zurück. Die breite Mehrheit der Portugiesen hat mehr Geld in der Tasche. Das kurbelt die Nachfrage an. Die Arbeitslosigkeit liegt erstmals seit Jahren wieder unter zehn Prozent.

Während das vielgepriesene Spanien einmal mehr an den Maastrichter Defizitvorgaben scheitert, lag Portugal 2016 erstmals unter der Dreiprozentmarke. (Reiner Wandler aus Madrid, 12.7.2017)