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US-Präsident Donald Trump beim G20-Gipfel in Hamburg.

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Ulrich Brand: G20-Gipfel sind auch eine Chance für die Zivilgesellschaft, ihre Gegenpositionen zu präsentieren.

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STANDARD: Alles deutet darauf hin, dass bei dem G20-Gipfel in Hamburg wenig handfeste Ergebnisse bei wichtigen Themen wie Klimaschutz, Handelspolitik und Afrika herauskommen werden. Ist die Runde obsolet?

Brand: Das denke ich nicht. Das G20-Format ist 1999 als ein Treffen der Finanzminister entstanden, die Regierungschefs kommen seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 regelmäßig in diesem Kreis zusammen. Es war schon wichtig angesichts der Krise, überhaupt ein Forum zu haben, in dem Vertreter von Industrie- und Schwellenländern miteinander reden können. Die G20 hat auch tatsächlich eine gewisse Stabilisierung der Finanzmärkte erreicht. Im Sinne der starken Finanzakteure zwar, aber aus Logik der G20 waren sie erfolgreich. In allen anderen Politikfeldern haben sie allerdings nichts bewirkt. Das ist seitdem eine rein symbolische Politik, was dort betrieben wird. Egal ob Afrika, Klimawandel, Handel: In diesen Politikfeldern ist die Gruppe ein Papiertiger. Selbst die Interessen der Eliten in den Nord- und Südländern zu fördern, wie von ihnen angestrebt, schaffen sie nicht.

STANDARD: Woran liegt das?

Brand: Aus meiner Sicht ist ein wesentlicher Grund, dass die meisten Schwellenländer in der Krise stecken und auch viele Industriestaaten primär mit sich selbst beschäftigt sind. Brasiliens Präsident Michel Temer steckt in einem derart großen Korruptionsskandal fest, dass er bis vor kurzem nicht einmal wusste, ob er zum Gipfel nach Hamburg anreisen können wird. Großbritannien ist mit dem Brexit, die Türkei mit den innenpolitischen Turbulenzen beschäftigt. Auch in Südkorea ist nach dem Rücktritt von Präsidentin Park Geun-hye der Fokus auf Innenpolitik gerichtet. Mexiko kämpft seit 2006 mit einem eskalierenden Drogenkrieg, und nun kommt auch die unsichere Wirtschaftslage aufgrund der neuen US-Regierung hinzu. Indien wiederum leidet unter der unglaublichen Armut und dem Hindu-Nationalismus, der die Gesellschaft politisch spaltet.

STANDARD: Ein zentrales Anliegen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ist, der G20 eine Erklärung zugunsten des Klimaschutzes abzuringen. Sie will, dass sich zumindest der Großteil der Länder zum Pariser Klimaschutzabkommen bekennt. Wie bewerten Sie das?

Brand: Man kann die Paris-Erklärung nochmal bekräftigen. Aber viel wesentlicher wäre ein selbstkritischer Blick in der Runde, der zum Ergebnis kommt: Wir tun ja gar nicht so viel. Deutschland müsste komplett aus Braunkohle aussteigen, wenn es die Klimaziele von Paris ernst nähme. Das tut es nicht. Putin sagt jetzt plötzlich: "Ja ja, der Klimaschutz ist wichtig." Aber das Land lebt ja einzig vom Verkauf fossiler Energieträger. Zudem halte ich auch die Zusammensetzung der Gruppe für problematisch, um Klimafragen zu diskutieren.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Brand: Sehr viele Länder sind nicht Teil der G20. Es ist schon wichtig, auch in kleineren Gruppen zu sprechen, und nicht immer mit den übrigen 170 Staaten der Erde zu verhandeln. Aber das G20-Format ist dennoch eine symbolische Abwertung des multilateralen Systems, das sich nach 1945 entwickelt hat. Auch die Klimarahmenkonvention ist im Uno-Kontext angesiedelt. Warum bleibt man nicht weiter in diesem Rahmen, warum maßen sich jetzt 20 Länder an, nochmal über Klima zu sprechen, ohne den Rest der Welt einzubinden – und noch dazu in einem unverbindlichen Rahmen?

STANDARD: Die USA haben das Pariser Abkommen aufgekündigt. Was können die übrigen Staaten in dieser Situation tun?

Brand: Im November steht zwei Jahre nach Paris die nächste Klimakonferenz an. Ich finde, man müsste nun eine Bestandsaufnahme machen: Was haben wir uns als Ziele gesetzt, und was wurde umgesetzt? Der Clou bei Paris war ja, dass es Zusagen für konkrete Maßnahmen der einzelnen Regierungen gab. Nun könnte man auflisten, was die Länder tatsächlich geliefert haben oder konkret planen. Die Gefahr ist jetzt, dass sich die übrigen Länder hinter der Argumentation "Wir sind die Guten, Donald Trump ist der Böse" verschanzen. Aber eben auch die deutsche Bundesregierung, die EU liefern keine klimapolitischen Ergebnisse. Da gilt es selbstkritisch zu sein: Warum funktioniert das nicht, warum wird weiter auf fossile Energie gesetzt? Man kann das auch auf Österreich beziehen: Der Nichtbau der dritten Piste in Wien-Schwechat wurde von einem Verwaltungsgericht erstmals mit Klimaschutzzielen begründet, und alle schreien auf in Österreich. Das ist doch das Problem. Man sollte nicht so tun, als ob Trump der Böse und wir die Guten sind.

STANDARD: Zurück zur G20: Wenn seit der Krise ohnehin nichts Handfestes rausschaut, ist das nur eine symbolische Veranstaltung in Hamburg – die Welt soll also sehen, wie mächtige Politiker sich gegenseitig die Hand schütteln.

Brand: Natürlich brauchen wir symbolische Politik, und es wird ja über Sachen geredet, das würde ich nicht schlechtmachen. Die Frage ist aber, was aus dieser Symbolik und aus den Gesprächen entsteht. Relativ wenig – da liegt das Problem. Politik muss ja liefern, umsetzen. In der Migrationspolitik gibt es relativ wenig Hilfe für Afrika. Auch beim Thema Flucht, bei dem oft gesagt wird, man müsse es an der Wurzel packen, passiert wenig. Im Bereich des Klimawandels wird eher gebremst. Im Handel wird weiter auf Freihandel gesetzt, in dem Wissen, dass schwache Länder unter dem derzeitigen Regime leiden. Wobei mir als ein ganz anderer wichtiger Aspekt erscheint, dass die G20-Treffen immer wieder eine Möglichkeit für die Zivilgesellschaft bieten, Gegenmeinungen sichtbar zu machen und nach Alternativen zu suchen. In Hamburg hat es ja parallel einen Gegengipfel gegeben. Ich habe dort eine Veranstaltung mit Vandana Shiva, der Trägerin des Alternativen Nobelpreises, moderiert. Sie hat vom Hunger in Indien berichtet, von der politischen Lage dort. Das war spannend zu hören. Solche Debatten sind gerade in der EU, die auch sehr stark mit sich selbst beschäftigt ist, wichtig. (András Szigetvari, 7.7.2017)