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Obwohl Liu todkrank ist, fürchtet Peking noch immer seine Ausstrahlungskraft.

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Demonstration für die Freilassung Liu Xiaobos, Hongkong, 1.7.2017.

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Angela Merkel empfängt Xi Jinping.

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Peking will die besten Krebsärzte aus Deutschland und den USA zur Behandlung des todkranken Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo einfliegen lassen. Das Drama um den politischen Häftling nimmt groteske Züge an. Er darf nicht sterben, solange Staatschef Xi in Europa weilt. Peking will ihn aber auch nicht als humanitäre Geste zur medizinischen Behandlung ins Ausland ausreisen lassen. Nach dem G20-Gipfel könnte sich das ändern – auch wegen des Drucks aus Deutschland.

Im Haftkrankenhaus in Shenyang in Nordostchina ringt auf einer hermetisch abgeschotteten Station Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo um sein Leben. Am Krankenbett des prominentesten politischen Gefangenen Chinas dürfen abwechselnd Frau Liu Xia, sein Bruder und zwei weitere Familienmitglieder Wache halten.

Es ist eine Entgegenkommen der Behörden, nachdem 22 zur Diagnose zusammengerufene chinesische Experten schon am 7. Juni feststellten, dass sich die Metastasen überall in Liu Xiaobos Körper ausbreiten. Seit Anfang Juli bemühen sich weitere acht auf traditionelle chinesische Medizin spezialisierte Fachärzte um Liu.

Ausländische Experten

Während Chinas Staatschef Xi Jinping in Berlin zu seinem Deutschland-Besuch angetreten ist, gab am Mittwoch die Justizverwaltung von Shenyang in ihrem vierten Internet-Bulletin eine neue Entwicklung bekannt, die die Welt beruhigen soll. Aus Deutschland und den USA sollen die "als beste Autoritäten anerkannten Experten zur Behandlung von Leberkrebs" in das zur "medizinischen Universität gehörende Shenyang-Krankenhaus Nummer eins" eingeladen werden, in dem Liu liegt.

Das sei der Wunsch seiner Familienangehörigen und auch die Meinung der Spezialgruppe der Ärzte, die sich um ihn kümmert. Die ausländischen Experten sollen mit dieser Gruppe zusammenarbeiten. Zuvor hatte die Justizverwaltung über ihre Online-Bulletins vermeldet, dass keine Medizin für Liu zu teuer sei. Sie listete "internationale fortschrittliche und im In- und Ausland anerkannte Arzneien gegen Krebs, Schmerz- oder Stärkungsmittel" auf, die er täglich erhalten würde.

Keine Reiserlaubnis

Dahinter scheint sich ein zynisches Kalkül zu verstecken: Zwar liege der weltbekannte Dissident im Sterben, aber in China werde alles getan, um sein Leben zu verlängern. Er brauche also nicht zur medizinischen Behandlung ins Ausland ausreisen, wie es Liu selber wünscht und immer mehr internationale Initiativen fordern. Zur Beruhigung des Auslands durfte auch das Propagandablatt "Global Times" mehrfach über Liu schreiben – aber nur in ihrer englischsprachigen Ausgabe. Am Dienstag erschien sie mit der Überschrift: "Liu Xiaobo wird fürsorglich und mit fortschrittlichen Therapien behandelt."

So mitfühlend ging Peking zuvor nie mit dem inzwischen 61-Jährigen um, den die Partei für ihren gefährlichsten Feind hält. Seit 1989 wurde er für seine gewaltfreien Forderungen bezüglich politischer Reformen und Aufklärung im Einparteienstaat viermal in Haft genommen. Zuletzt verurteilten willfährige Richter Liu Ende 2009 zu elf Jahren Gefängnis wegen "Umsturzversuchs". Ihre Beweise dafür waren ein von ihm verfasstes Freiheitsmanifest namens "Charta 08", das an die Charta 77 im Prager Frühling anknüpfte, und zwei Dutzend systemkritische Internetartikel.

Weltweite Proteste

Das damalige Urteil gegen den charismatischen Intellektuellen führte zu weltweiten Protesten und Solidaritätskundgebungen für Liu, so wie jetzt auch seine Verlegung in ein Hafthospital. In einem offenen Brief forderten 154 internationale Nobelpreisträger am 29. Juni, ihn freizulassen. Auch die Botschaften der USA und vieler Länder Europas, darunter Deutschland, verwandten sich beim Pekinger Justizministerium für seine humanitäre Ausreise. Die Antwort lautete, dass Liu nicht transportfähig sei.

Aufgeregt reagierten Chinas Sicherheitsbehörden auf einen seit vergangener Woche kursierenden Appell, der an Staatschef Xi Jinping geschickt werden soll. Er verlangt, Liu bedingungslos frei- und ins Ausland ziehen zu lassen. Bis Mittwoch unterzeichneten 2838 Chinesen die Petition, darunter viele bekannte Intellektuelle, Akademiker und Künstler aus dem In- und Ausland.

Der humanitär ungelöste Fall Liu schlägt Wellen und belastet die Rundreise von Staatschef Xi aus Anlass des G20-Gipfels in Hamburg, in deren Rahmen er als erste Station in Berlin eintraf. Schon zuvor am Flughafen in Hongkong, wo Xi sein an Attraktivität einbüßendes Modell "Ein Land, zwei Systeme" verteidigte, wurde er mit Fragen von Reportern konfrontiert, wann er Liu ausreisen lasse. Er überhörte sie geflissentlich.

Xi in Berlin

Doch der Fall Liu droht auch Xis Besuch in Berlin zu überschatten. Dieser beginnt am Mittwoch mit der Unterzeichnung von Wirtschaftsverträgen, wo Peking mit einem Masseneinkauf von Airbussen punkten will, und einer anschließenden Pressebegegnung. Als Charmeoffensive will er die aus China neu eingetroffenen Pandas im Berliner Zoo begrüßen und auch einem Freundschaftsfußballmatch zwischen den Jugendmannschaften zuschauen. China demonstriert damit seine Soft Power und will für das chinesisch-deutsche Verhältnis werben. Xi nannte es ein "Musterbeispiel" für bilaterale Beziehungen. Nun muss er sich die Frage gefallen lassen, wie es bei ihm zu Hause zugeht.

Die Lage ist verfahren. Solange er im Ausland weilt, muss Xi befürchten, dass ihm eine Amnestie oder eine Ausreiseerlaubnis für Liu innenpolitisch als Schwäche ausgelegt würde, selbst wenn ihn Kanzlerin Angela Merkel darum bitten würde. Berlin genießt in Peking hohes Ansehen. Aber erst nach Xis Rückkehr in Peking könnte sich das auswirken. Fraglich ist, ob Liu noch so viel Zeit bleibt.

Der behördlichen Behauptung, dass der Kranke nicht transportfähig sei, widersprach das Hongkonger Informationszentrum für Menschenrechte und Demokratie. Sie hätten diesbezüglich Onlinenachrichten und Fotos vom Dissidenten und seiner Frau bekommen. Das Ehepaar wolle zur Behandlung Lius in die USA oder nach Deutschland ausreisen. Schon vergangene Woche hätten sie um Ausreiseerlaubnis gebeten, nachdem Liu seine erste "gezielte Krebstherapie" hinter sich hatte. Er habe wieder Appetit gezeigt und genug Kraft gehabt, aufzustehen und einige Schritte zu gehen.

Die "Global Times" verriet, was Pekings Führung neben dem Gesichtsverlust daran hindere, Liu nach sieben Jahren Haftverbüßung ausreisen zu lassen, obwohl sie einst andere verurteilte politische Häftlinge auf Bitten des Auslandes aus humanitären Gründen hatten ziehen lassen. Die Praxis endete abrupt 2005, als Peking der inhaftierten uigurischen Unternehmerin Rebiya Kadeer erlaubte, China zu verlassen. Im Ausland wurde sie zur einflussreichen Oppositionellen und vehementen Kritikerin der Partei. (Johnny Erling aus Peking, 5.7.2017)