Ein Rollstuhl verändert den Alltag. Zur Überbrückung von Einschränkungen helfen neue Apps und Projekte.

Foto: Robert Newald

Wien – Mit der U-Bahn zur Donauinsel fahren, in eine eigene Wohngemeinschaft ziehen, eine Arbeit finden, eine Partnerin kennenlernen: Für Menschen mit Behinderung stellen diese Aufgaben teilweise große Herausforderungen dar. Einem Bericht des Sozialministeriums aus dem Jahr 2007 zufolge gaben 1,7 Millionen Menschen in Österreich an, aufgrund einer gesundheitlichen Beeinträchtigung eingeschränkt zu sein. Neben den häufig vorkommenden körperlichen Einschränkungen fallen auch chronische Schmerzen, Sehprobleme und Konzentrationsschwierigkeiten darunter.

Unterwegs mit einem Buddy

Um Menschen mit Behinderung stärker in die Gesellschaft einzubinden und im Alltag besser zu unterstützen, startete 2016 das Projekt Wiener Wege zur Inklusion. Über zweihundert Menschen mit und ohne Behinderung sollten gemeinsam Ideen und Projekte entwickeln, um neue Zugänge zu bestehenden Problemen von Menschen mit Behinderung zu schaffen.

Jetzt hängen die Ergebnisse des Projekts an weißen Flipcharts, aufgemalt mit bunten Stiften, mit Sprechblasen und Illustrationen: zum Beispiel das Buddy-System, eine App, mit der sich Menschen mit Behinderung mit Freiwilligen vernetzen, um bei der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterstützt zu werden.

Auf einem anderen Papier sind Küche und Wohnzimmer aufgezeichnet. "Lebe Bunt" steht in großen Buchstaben darüber: eine Wohngemeinschaft, in der Menschen mit Behinderung mit Menschen ohne Behinderung zusammenleben sollen. Auch die Möglichkeit, in eine WG hineinzuschnuppern, soll gegeben sein.

In den Arbeitsprozess eingebunden

Daneben gibt es "Hoogo", eine Beratungsstelle über Telefon und Internet, "Glücksbringer", ein Mediatorsystem, das Konflikte in Tagesstrukturen und Werkstätten für Menschen mit Behinderung lösen soll, "Schmetterlinge im Bauch", eine Veranstaltungsseite, wo sich Singles verabreden können, sowie "Zentrum der Möglichkeiten", ein Projekt, das Menschen in Tagesstrukturen zusätzliche Aktivitäten wie Fußballspielen oder Ausflüge anbieten soll.

"Wir waren von den vielen kreativen Ideen sehr überrascht", sagt Robert Bacher, Leiter des Fachbereichs Behindertenarbeit beim Fonds Soziales Wien und Projektleiter der Wiener Wege zur Inklusion. Erstmals seien Menschen mit Behinderung auch aktiv in den Arbeits- und Entwicklungsprozess eingebunden worden. Sie wissen immerhin am besten, was für sie wichtig ist.

"Die Arbeit von Menschen mit Behinderung mit Menschen ohne Behinderung hilft, das Verständnis und Bewusstsein in der Bevölkerung zu erweitern", meint Sandra Frauenberger, Wiener Stadträtin für Soziales, Gesundheit und Frauen. Immer noch seien Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft mit vielen Vorurteilen und Ängsten konfrontiert.

Selbst bestimmen

In der 2008 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention ist die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung an der Gesellschaft festgeschrieben. Bei Inklusion gehe es nicht darum, "Ausgegrenzte" in die Gesellschaft zu integrieren, sondern von vornherein allen Menschen die uneingeschränkte Teilnahme an allen Aktivitäten zu ermöglichen. "Menschen mit Behinderung wollen vor allem selbst über ihr Leben bestimmen können", sagt Peter Hacker, Geschäftsführer des FSW.

Im Rahmen von Wiener Wege zur Inklusion wurden am Montag vier Ideen ausgewählt, die bis Anfang 2018 umgesetzt werden sollen. Für den Start der Pilotprojekte stehen laut Bacher jeweils 100.000 Euro zur Verfügung. Nach einem Jahr sollen die Projekte noch einmal mit den Betroffenen diskutiert werden. Hacker geht davon aus, dass sich mit den Projekten auch die Behinderteneinrichtungen in Zukunft verändern werden. "Wir reden jetzt nicht mehr über, sondern mit Behinderten." (Jakob Pallinger, 4.7.2017)