Wien – Die Blut-Hirn-Schranke gilt als eine der großen Erfindungen der Natur, die allerlei nützliche Aufgaben erfüllt. Sie besteht hauptsächlich aus kleinen Blutkapillaren, die von Endothelzellen ausgekleidet sind, in deren Membranen sich zweierlei Transporter befinden. Was gar nicht so kompliziert ist, wie es klingen mag: Die einen Transporter, Efflux-Transporter heißen sie, befinden sich auf der dem Blut zugewandten Seite und sorgen dafür, dass Substanzen, die nicht ins Gehirn gehören, in der Blutbahn bleiben. Zwei von ihnen sind hier besonders wichtig. Die anderen, man nennt sie Uptake-Transporter sorgen für die Aufnahme von Nährstoffen aus dem Blut.

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Die Blut-Hirn-Schranke: Blutkapillaren, die von Zellen ausgekleidet sind, die mittels mehrerer Transporter Substanzen hineinlassen – oder auch nicht.
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Die Blut-Hirn-Schranke stellt also ein chemisches Gleichgewicht im Gehirn her. Bei der Behandlung von Hirntumoren etwa ist das aber recht hinderlich – sowohl primäre, die im Organ selbst entstehen (Glioblastom), als auch sekundäre, die aufgrund von Metastasen eines anderes Geschwürs auftreten, könnte man besser und gezielter mit Krebsmedikamenten zum Beispiel aus der Klasse der Tyrosinkinase-Inhibitoren behandeln, wenn man diese Schranke überwindet. Es heißt zwar, dass sie bei Hirntumoren nicht hundertprozentig funktioniert, um aber Krebsmedikamenten einen Zugang zu ermöglichen, ist sie zynischerweise noch zu stabil.

Der Pharmazeut Oliver Langer, der an der Med-Uni Wien und am Austrian Institute of Technology (AIT) forscht, erzählt, dass das Problem bei der Überwindung eine Art Kooperation der Efflux-Transporter ist. Wenn einer der beiden Transporter nicht mehr funktioniert, übernimmt der zweite diese Aufgabe. Ein scheinbar unüberwindbares Duo. Um trotzdem zum Ziel zu gelangen, greift Langer auf die Geschichte der Medikamentenentwicklung zurück: Die Pharmabranche hat vor etwa 15 bis 20 Jahren Stoffe entwickelt, die ähnliche Barrieren in Tumorzellen überwinden können, damit die Chemotherapie zerstören kann, was zerstört werden muss.

Bis heute nicht zugelassen

Da sich aber herausstellte, dass diese Arzneistoffe auch Transporter in anderen Organen beeinflussen können, wie in der Leber, in der Niere und im Knochenmark, und in Kombination mit Chemotherapeutika zu starken Nebenwirkungen führen können, sind sie bis heute nicht zugelassen.

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Die Pharmabranche musste sich mit hohen Verlusten abfinden. Die Arzneistoffe gibt es aber trotzdem, sie werden in der Forschung angewandt – unter anderem vom Pharmazeuten Langer, um die Gehirnverteilung von Krebsmedikamenten zu verbessern. Er schaut sich im Mausmodell und in gesunden Probanden an, wie diese Substanzen dosiert werden müssen, um Efflux-Transporter an der Blut-Hirn-Schranke zu hemmen.

Dabei verwendet er die Positronen-Emissions-Tomografie (PET), mit der man die Verteilung von Medikamenten im Gewebe sehen kann. Allerdings nur nach einem Austausch von Atomen: Die in jedem Medikament enthaltenen Kohlenstoffatome werden durch ein Radionuklid mit kurzer Halbwertszeit von 20 Minuten ersetzt. Diese leuchten dann in den PET-Aufnahmen. Langer betont: "Die Strahlenbelastung ist gering."

Keine Anwendung in Sicht

Ziel des drei Jahre laufenden Projekts, das aktuell von der Niederösterreichischen Forschungs- und Bildungsgesellschaft (NFB) im Life Science Call 2015 gefördert wurde: Man will mit der PET-Methode erkennen, inwiefern das Ausschalten von Transporterproteinen die Verteilung von Krebsmedikamenten im Körper verändert. Von einer möglichen klinischen Anwendung bei Gehirntumorpatienten ist man aufgrund möglicher Nebenwirkungen, die das Ausschalten von Transporterproteinen verursachen könnte, noch weit entfernt. Wenngleich man eines schon sicher sagen kann: Die Transporterhemmung besteht nur, solange die Infusion des Hemmstoffes läuft. Langer: "Man müsste sich nun anschauen, wie das bei Krebspatienten wirkt." (Peter Illetschko, 1. 7. 2017)