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Die Meeressäuger freuen sich, die lokalen Fischer weniger: Orcas in der Beringsee haben gelernt, Langleinen als Fischbuffet zu nutzen.

Foto: AP / Elaine Thompson

Juneau/Wien – Es herrscht Krieg in den Gewässern vor der Küste Alaskas: Ganze Schulen von Schwertwalen jagen in der Beringsee Fischerbooten hinterher und rauben ihnen den Fang, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet – für die Meeressäuger ist das eine bequeme Art, an Futter zu kommen, ohne sich besonders anstrengen zu müssen. Für die Fischer sind die Verluste jedoch erheblich.

Meist sind es Heilbutte oder Kohlenfische, die sich die Wale von den Langleinen schnappen, ehe die Fischer sie an Bord holen können. Bei dieser Variante des Fischfangs legt man oft kilometerlange und mit tausenden Ködern bestückte Leinen aus. Werden sie schließlich aus den für die Schwertwale unerreichbaren Tiefen emporgezogen, kommt das für die Orcas einem üppigen Eat-as-much-as-you-can-Buffet gleich.

Systematische Diebstähle

Dass Wale sich am Fang der Seeleute gütlich tun, ist zwar kein neues Phänomen – auch Pottwale wurden in der Beringsee schon dabei beobachtet – doch in den letzten Jahren ist aus den gelegentlichen Diebstählen ein systematisches Verhalten geworden, wie die Ozeanologin Dana Hanselman von der US-amerikanischen Meeresbehörde NOAA heuer im "Journal of Marine Science" schrieb.

Zuletzt häuften sich die Vorfälle sogar, wobei die Tiere bei ihren Raubzügen immer raffinierter vorgehen: So berichtet etwa Robert Hanson, Kapitän der FV Oracle, in den Alaska Dispatch News, dass die Meeressäuger Boote, die ihnen zuvor schon reiche Beute beschert hatten, wiedererkennen und gezielt verfolgen. Einmal hätte ihm eine Schule aus 50 Schwertwalen zwei Tage lang nachgestellt, berichtet der Seemann. Dabei habe er tausende Kilogramm Fisch an die Wale verloren.

Video: Orcas verfolgen ein Fischerboot in der Beringsee in der Hoffnung auf eine ausgiebige Fischmahlzeit.
Casey Reynolds

John Moran, Fischereibiologe bei der NOAA, bestätigt die erstaunlichen Fähigkeiten der Schwertwale. Diese seien tatsächlich in der Lage, einzelne Boote an ihrem jeweiligen Motorenknattern zu unterscheiden. Am Geräusch der Hydraulikanlage, mit der die Fangausrüstung ins Wasser gelassen wird, erkennen die Tiere sogar, wann und wo ein Boot sich gerade anschickt, die Langleinen auszuwerfen. Beobachtungen haben gezeigt, dass dieses Wissen auch an die Nachkommen weitergegeben wird.

Wie groß die jährlichen Verluste im Golf von Alaska an die Konkurrenz im Meer insgesamt sind, darüber gehen die Meinungen auseinander: Während offizielle Statistiken von unter zehn Prozent ausgehen, berichtet die Fischereiindustrie von bis zu 60 Prozent. Viele Langleinenfischer sind jedenfalls am Rande der Verzweiflung und überlegen sogar, andere kostspieligere Fangmethoden wie etwa Stahlkäfige einzusetzen.

Was also tun gegen die zunehmenden Raubzüge der Orcas? Bisherige Vertreibungsmaßnahmen haben jedenfalls keine erkennbare Wirkung gezeigt. Einige Fischer hätten Köderbojen ausgelegt, andere versuchten, die Wale mit Sonar in unterschiedlichen Frequenzen zu irritieren. In ihrer Not beschallten die Fischer die Meeressäuger von Deck aus sogar mit Heavy-Metal-Musik – doch die Schwertwale zeigten sich von all dem weitgehend unbeeindruckt. Manche sehen Vorteile darin, als Teil einer größeren Flotte zu fischen. Damit erhöhen sich für den Einzelnen zumindest die Chancen, dass es einen anderen erwischt. Wieder andere greifen zu schmutzigen Tricks, wenn sie wieder einmal von einer Orcaschule verfolgt werden: Sie suchen bewusst die Nähe eines anderen Fischerbootes in der Hoffnung, die Tiere würden sich dem Fang des Kollegen zuwenden.

Waltracking als Ausweg?

Im Fall der Pottwale hat sich inzwischen ein Projekt als durchaus hilfreich erwiesen, bei dem einige der Meeressäuger besendert wurden und sich via Satellit aufspüren lassen. Auf der Internetseite Seaswap können die Fischer nachsehen, wo sich die Wale gerade aufhalten, und diese Regionen dann meiden. Ein ähnliches Verfahren könnte auch bei den Orcas zum Erfolg führen – zumindest so lange, bis die intelligenten Tiere dahinterkommen und vielleicht beginnen, ihre mit den Sendern ausgestatteten Artgenossen aus den Gruppen zu verbannen. (Thomas Bergmayr, 23.6.2017)