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Die britische Premierministerin Theresa May muss noch liefern, befindet Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Brüssel – Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat vor dem EU-Gipfel am Freitag betont, dass der Vorschlag der britischen Premierministerin Theresa May über die Rechte von EU-Bürgern nach dem Brexit ein Anfang sei – aber die "großen Herausforderungen mit Großbritannien kommen noch". Die Briten seien "da noch in einer Findungsphase", es gebe "da noch reichlich Unsicherheit", sagte Kern.

Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ist Mays Vorschlag nicht klar genug. Auf eine entsprechende Frage sagte Juncker am Freitag: "Nein, das ist ein erster Schritt. Aber der ist nicht ausreichend." Er hält es für nicht vorstellbar, dass der EuGH beim Einklagen der Rechte der EU-Bürger ausgeschlossen werden könnte.

Angebot hinter Erwartungen

EU-Ratspräsident Donald Tusk erklärte nach dem Gipfel, der May-Vorschlag bedeute einen Abbau der Bürgerrechte. "Wir wollen die vollen Rechte für die EU-Bürger und für die britischen Bürger in der EU nach dem Brexit haben." Er habe den "Eindruck, dass das britische Angebot hinter unseren Erwartungen zurückliegt und die Situation der Bürger verschlechtert werden wird. Aber wir werden weiter verhandeln."

Der amtierende EU-Ratsvorsitzende und Maltas Premier Joseph Muscat sagte, die Union könnte in eine "Falle tappen", wenn die Details nicht geklärt seien. Es stehe völlig außer Zweifel, dass der Brexit für die Briten "keine vorteilhafte Entwicklung ist", sagte Kern. Das werde Wachstum und Wohlstand in Großbritannien kosten. "Die volle Auswirkung wird sich erst abzeichnen, und ich denke, das wird den Briten nach dieser Wahl jetzt schmerzlich bewusst."

May sagte am Donnerstag, sie wolle EU-Bürger wegen des Brexits nicht zum Wegzug aus dem Königreich zwingen oder deren Familien auseinanderreißen. Zudem habe sie den anderen 27 Staats- und Regierungschefs am Donnerstagabend in Brüssel zugesagt, dass alle Betroffenen ihren Status klären dürften, die am Tag des EU-Austritts Großbritanniens dort lebten, sagten hochrangige britische Regierungsvertreter.

Fünf Leitlinien

May legte den Angaben zufolge ihren EU-Kollegen fünf Leitlinien für den Umgang mit den Rechten von britischen und EU-Bürgern im Hoheitsgebiet des jeweils anderen dar. Demnach schlug sie vor, dass EU-Bürger alle Rechte wie ihre britischen Nachbarn erhalten, wenn sie seit mindestens fünf Jahren in Großbritannien leben. Ein Datum, ab wann die fünf Jahre gelten, müsse aber noch festgelegt werden. Dieses Datum soll zwischen dem Tag der offiziellen Bekanntgabe des EU-Austritts am 30. März dieses Jahres und dem Brexit-Datum am 29. März 2019 liegen.

Die Rechte würden Bildung, den Zugang zum Gesundheitssystem und das Pensionssystem umfassen. Auch diejenigen, die weniger als fünf Jahre in Großbritannien lebten, hätten die Möglichkeit, diesen neuen Status zu erreichen. May forderte den Regierungsvertretern zufolge die gleichen Rechte für die rund eine Million in der EU lebenden Briten.

Nach dem Willen Mays sollen sich betroffene EU-Bürger in Streitfragen nicht an den Europäischen Gerichtshof wenden können. Stattdessen könnten sie sich auf die hoch angesehenen Gerichte in Großbritannien verlassen, sagte sie. Das nach dem Brexit-Referendum eingeführte 85-seitige Antragsformular, das EU-Bürger als zu kompliziert kritisiert haben, soll durch ein Onlinesystem ersetzt werden. Weitere Details will May am Montag im britischen Parlament präsentieren. Damit sollen auch Fragen nach den Rechten von Ehepartnern geklärt werden, wenn einer von ihnen kein EU-Bürger ist.

Wirtschaft und Handel im Blickpunkt

Der zweite Tag des Gipfels hat am Freitagvormittag mit Beratungen über Wirtschafts- und Handelsthemen begonnen. Angesichts des wirtschaftspolitischen Kurses von US-Präsident Donald Trump wollen die EU-Staats- und Regierungschefs nach dem Entwurf der Schlusserklärung ihr Festhalten an einem freien und auf Regeln basierten Welthandel ohne Protektionismus betonen.

Gleichzeitig will sich Europa aber auch besser gegen unfaire Handelspraktiken wie Dumping schützen. Danach geht es um die Flüchtlingskrise und insbesondere um die Lage auf der Flüchtlingsroute über das Mittelmeer nach Italien. Die EU will die Zusammenarbeit mit Libyen und die Stärkung der Küstenwache des nordafrikanischen Landes betonen und zugleich mehr Anstrengungen bei der schnellen Abschiebung und Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern fordern.

Zum Abschluss ihres Treffens befassen sich die Staats- und Regierungschefs mit dem Ausbau des digitalen Binnenmarkts, der Schwerpunkt der estnischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr ist. Estlands Regierungschef Jüri Ratas sagte, Europa müsse hier Weltmarktführer werden. Daten seien heute das, was die Kohle- und Stahlindustrie im vergangenen Jahrhundert für Europa gewesen sei. (red, APA, 23.6.2017)