Angekündigte Revolutionen finden eben manchmal doch statt: Dass der saudische Königssohn und Vizekronprinz Mohammed bin Salman gerne den Topjob hätte, war in den vergangenen Wochen und Monaten nicht zu übersehen. Der Kronprinz, ein pragmatischer und respektierter Mann, den König Salman selbst ernannt hatte, verkam in den Medien des Königreichs immer mehr zum Schatten im Hintergrund. Am Mittwoch wurde er seines Amtes enthoben, und MbS, wie der 31-Jährige auch in Saudi-Arabien genannt wird, ist nun offiziell der neue starke Mann.

Nur mehr sein Vater, der König, trennt Mohammed bin Salman von der absoluten Macht. Was kritische Beobachter als fast schon schamloses Streben nach oben sehen, ist in den Augen der MbS-Bewunderer nötig, um die Zukunft zu sichern: Saudi-Arabien muss sich ändern, und das geht nur durch eine Neuaufstellung vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Sicherheit.

Die Problematik einer vom Öl abhängigen Staatsökonomie, die die eigenen Bürger zu Klienten (v)erzogen hat, hat Mohammed bin Salman richtig erkannt. Aber ob jemand, der als 29-Jähriger 2015 dem Stolichnaya-Besitzer Juri Scheffler ganz spontan seine 500-Millionen-Dollar-Yacht abkaufte, das Verhältnis zwischen Arbeit und Geld wirklich versteht und nachhaltige Reformen durchsetzen will – die auch die tausenden saudischen Prinzen und Prinzessinnen betreffen würden -, bleibt erst noch zu sehen. Denn die Unterstützung der Familie, in der nicht alle seinen steilen Aufstieg neidlos verfolgen, braucht er.

Der neue Thronfolger ist einer der wenigen saudischen Prinzen, die nicht im Westen studiert haben: Das heißt, die politische Moderne, von der Saudi-Arabien so weit entfernt ist, hat er selbst nie direkt erlebt. Sein Verständnis von Sicherheit deshalb durch die Orientalismus-Brille zu sehen wäre jedoch ungerecht: Er teilt es mit dem derzeitigen amerikanischen Präsidenten. Sicherheit, das ist militärisch abgesicherte Dominanz.

Dazu muss sich Saudi-Arabien als Hegemon am Persischen Golf völlig durchsetzen. Wenn es nach MbS geht, so wurde etwa viel zu lange hingenommen, dass ein kleines Emirat wie Katar seine eigene Politik macht. Wenn Riad die kleinen Nachbarn nicht im Griff hat, wie soll es dann erfolgreich gegen den – in vielen Bereichen besser aufgestellten – Iran bestehen?

In Riad fehlt das Bewusstsein völlig, wie die saudische "Antiterrorkampagne", bei der mit dem Finger auf andere gezeigt wird, im Westen ankommt, wo man Saudi-Arabien als Brutstätte des radikalen Islam ausgemacht hat. Aber MbS wäre das wohl ohnehin egal: Er hat den Ritterschlag als Antiterrorkämpfer von Donald Trump erhalten, mit dem sein Geschick eng verknüpft ist. Auch da wird sich erst erweisen, ob das gut ist.

Für alle, die meinen, man kann den Iran nur durch absolute Härte eindämmen, ist MbS' Aufstieg im Prinzip eine gute Nachricht. Aber es ist eine sehr riskante Politik: Die Momentaufnahme zeigt nicht etwa eine geeinte Front gegen den Iran, sondern einen zerfallenden Golfkooperationsrat und eine gespaltene sunnitische Gemeinschaft. MbS hat auch nichts dagegen, dass der Hegemonialkonflikt mit dem Iran konfessionell interpretiert wird: Für ihn ist das der große Kampf zwischen Schia und Sunna, nötigenfalls mit Waffen auszutragen. Und das ist keine gute Nachricht für den Westen. (Gudrun Harrer, 21.6.2017)