Caracas – Das Oberste Gericht von Venezuela hat ein Verfahren gegen Generalstaatsanwältin Luisa Ortega eingeleitet, das letztlich zu ihrer Absetzung führen könnte. Das Gericht gab am Dienstag einem Antrag des Abgeordneten Pedro Carreno statt, wegen "mutmaßlicher schwerer Fehler bei der Ausübung ihres Amtes" gegen Ortega zu ermitteln.

Die 59-jährige Juristin gilt als einzige kritische Stimme im Lager des umstrittenen Präsidenten Nicolás Maduro. Ortega hatte bereits mehrere Vorstöße gegen Maduro unternommen. Allerdings wurden diese immer wieder von den Justizbehörden zurückgewiesen. Ortegas Haltung hatte zu Spekulationen über Risse im Regierungslager geführt, welche möglicherweise zu Maduros Absetzung führen könnten.

Krise

Oppositionsführer Freddy Guevara erklärte, ein Generalstaatsanwalt könne nur durch die Legislative seines Postens enthoben werden. Dem würden sich die Abgeordneten jedoch widersetzen.

Maduro will mit der Verfassungsreform die dramatische politische und wirtschaftliche Krise im Land mit den größten Ölreserven der Welt befrieden. Durch die geplante Zusammensetzung der Versammlung fürchtet die Opposition einen endgültige Übergang in eine Diktatur. Ortega ist die prominenteste Widersacherin im eigenen Lager – sie verteidigt das Erbe von Maduros gestorbenem Vorgänger Hugo Chávez und sieht im Niedergang unter Maduro einen Verrat an Chávez' Erbe.

Ortega hatte schon die zeitweise Entmachtung des von der Opposition dominierten Parlaments durch das Oberste Gericht scharf kritisiert – daran hatten sich die seit 80 Tagen andauernden Proteste entzündet, die bereits 75 Todesopfer forderten. Unterstützung für Ortega kam von der Opposition, Parlamentspräsident Julio Borges sagte, damit trete man ein "in die entscheidende Phase des Kampfes um die Demokratie".

Beobachter sehen die Gefahr einer endgültigen Eskalation. Unterdessen setzte Maduro den Chef der Nationalgarde, Antonio Benavides, ab. Das Kommando über die militarisierte, schwer bewaffnete Polizei, die versucht, die nicht enden wollenden Demonstrationen in den Griff zu bekommen, übernehme General Sergio Rivero Marcano, sagte Maduro.

Zuletzt war auch das Tränengas knapp geworden, nach heftigen Protesten gegen eine Bestellung von knapp 80.000 Tränengaskartuschen von einem brasilianischen Unternehmen waren von den dortigen Behörden weitere Lieferungen vorerst gestoppt worden. Die Menschen protestieren auch gegen die verheerende Wirtschaftslage. 2016 brach die Wirtschaftsleistung um rund 18 Prozent ein, rund 95 Prozent der Exporteinnahmen kommen aus dem Ölverkauf, der niedrige Preis verschärfte die Lage. Zugleich verlor der Bolívar immer mehr an Wert.

Der Internationale Währungsfonds rechnet damit, dass die Inflationsrate 2017 bei 720 Prozent liegen wird – wahrscheinlich werden es weit über 1000 Prozent. Durch die enorme Teuerung werden staatlich subventionierte Lebensmittel knapp, der Schwarzmarkt blüht. Lange Schlangen und ein Mangel an Medizin sind Alltag. Zudem gilt Caracas wegen der Gewalt als eine der gefährlichsten Städte der Welt. (APA, 21.6.2017)