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Premierministerin Theresa May den Anschlag zu einer Terrortat und sagte, dass ihre Gedanken bei den Opfern und ihren Familien seien.

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Blumen für die Opfer eines weiteren Anschlags in der britischen Hauptstadt. Diesmal waren Menschen vor einer Moschee das Ziel der Attacke.

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Großbritannien kommt nicht zur Ruhe. Der vierte Terroranschlag in drei Monaten suchte das Land in der Nacht zum Montag heim. Ein Mann in einem Kleinlaster raste in eine Menschenmenge am Finsbury Park in Nordlondon. Ein Toter und zehn Verletzte waren die Folge. Premierministerin Theresa May erklärte den Anschlag zu einer Terrortat, verurteilte den "widerlichen" Angriff und sagte, dass ihre Gedanken bei den Opfern und ihren Familien seien.

Der Anschlag ereignete sich kurz nach Mitternacht am frühen Montagmorgen. In der Nähe von Finsbury Park gibt es drei verschiedene Moscheen. Dort hatte man gerade die Tarawih-Gebete beendet – die nach dem täglichen Fastenende im heiligen Monat Ramadan vollzogen werden. Deswegen befand sich trotz vorgerückter Stunde eine große Menschenmenge von Muslimen auf den Straßen. In der Sackgasse Whadcoat Street brach ein älterer Mann zusammen, anscheinend ein Herzinfarkt, viele eilten herbei, um zu helfen. Das war der Moment, in dem der Anschlag passierte.

Augenzeuge Mohammed Abdullah beschreibt, was geschah: "Er hat es absichtlich getan. Ich war auf meinem Fahrrad drei Wagen hinter dem Kleinlaster, der auf die Busspur fuhr. Dann bog er scharf links ab, in diese Sackgasse, in die man eigentlich gar nicht reinfahren darf. Er raste in die Leute hinein." Der Laster wurde durch Poller gestoppt, der Fahrer sprang heraus und wurde sofort von aufgebrachten Menschen gestoppt und zu Boden geworfen. Augenzeuge Khalid Amin berichtet, dass er gerufen habe: "Ich will Muslime töten, ich will alle Muslime töten".

Wütende Menschenmenge

Der erste Alarm bei der Polizei ging um 0.21 Uhr ein, die ersten Beamten waren in weniger als zehn Minuten am Tatort. Der Iman Mohammed Mahmoud konnte in der Zwischenzeit den Täter vor der wütenden Menschenmenge schützen. "Rührt ihn nicht an", soll er Männern zugerufen haben, die auf den Täter einzuschlagen begannen. Toufik Kacimi, der Geschäftsführer des nahegelegenen Muslim Welfare House, sagte gegenüber dem Nachrichtensender Sky News: "Unser Iman hat dem Mann das Leben gerettet."

Die Polizei konnte den 47-jährigen Mann verhaften. Wie die BBC berichtete, wuchs der Mann in der westenglischen Küstenstadt Weston-Super-Mare auf.

Noch auf dem Pflaster der Whadcoat Street verstarb der ältere Mann, ob an dem Herzanfall oder dem Zusammenstoß mit dem Kleinlaster, blieb vorerst unklar. Zehn Menschen wurden verletzt, acht von ihnen so schwer, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden mussten. Londons Bürgermeister Sadiq Khan, selbst praktizierender Muslim, rief nach dem Anschlag, der laut Polizei gezielt auf die muslimische Gemeinde gerichtet war, zur Ruhe auf. "Die Attacke auf der Westminster Bridge, auf der London Bridge und die Attacke in Manchester", erinnerte er an die jüngsten Anschläge, "sind alles Attacken auf die von uns allen geteilten Werte von Freiheit, Toleranz und Respekt. Terrorismus ist Terrorismus, ob er nun von Islamismus gespeist wird oder von anderen extremistischen Einstellungen."

Labour-Chef Jeremy Corbyn, der zugleich Abgeordneter des Wahlkreises ist, in dem der Anschlag passierte, eilte noch in der Nacht an den Tatort, um mit den Leuten zu reden. "Ich bin total schockiert über den Anschlag heute Nacht", schrieb er auf Twitter. "Ich bin in Kontakt mit den Moscheen, der Polizei und dem Gemeinderat von Islington. Meine Gedanken sind bei den Opfern."

"Bis jetzt gewalttätigste Manifestation"

Der Muslim Council of Britain (MCB), ein Dachverband britischer Muslime, verurteilte den Anschlag als die "bis jetzt gewalttätigste Manifestation" von jüngsten islamophoben Zwischenfällen. Der Verband forderte auch mehr Polizeischutz: "Wir erwarten, dass die Behörden die Sicherheit außerhalb von Moscheen dringend erhöhen." Zuletzt ist die Anzahl der Übergriffe auf Muslime in Großbritannien gestiegen: Drei Tage nach dem Terroranschlag vom 3. Juni auf der London Bridge kam es etwa gleich zu 20 islamfeindlichen Übergriffen – das ist fast sechsmal mehr als der bisherige Tagesdurchschnitt von 3,5 islamophoben Vorfällen in der britischen Hauptstadt.

Im Finsbury Park war die Stimmung am Montag angespannt. Viele Muslime fühlen sich unsicher, viele sind verärgert, weil sie denken, dass sie selbst unter Generalverdacht stehen. "So ein Anschlag wird die Spaltung in unserer Gesellschaft nur noch erhöhen", sagt eine junge Muslima sichtlich aufgewühlt. "Ich erfahre es doch selbst jeden Tag, wenn ich die Blicke von Leuten im Bus sehe." Zugleich aber kam es zu vielen Akten der Solidarität.

So eilte Rabbi Herschel Gluck am Morgen aus dem nahegelegenen Stamford Hill, einem Zentrum des ultraorthodoxen Judentums, herbei. "Wir haben hier sehr gute Beziehungen zwischen den Gemeinden", sagt er, "meine Reaktion ist tiefer Schock und große Sorge über die Folgen dieser terroristischen Gräueltat." Alice, eine Frau, die seit 27 Jahren im Viertel wohnt, trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift "Nicht in meinem Namen". Sie ist mit einem Poster gekommen: "Lasst unsere muslimischen Nachbarn in Ruhe", lautet die Botschaft. Bei der nahen U-Bahn-Unterführung legen Menschen Blumen nieder und hinterlassen Karten: "Dieses abscheuliche Verbrechen ist nicht, was wir sind", steht auf einer.

Premierministerin Theresa May, die am Montagmorgen eine Krisensitzung des Notfallkomitees Cobra leitete, unterstrich die Botschaft der Solidarität. "Dieser Anschlag", sagte sie in einer Ansprache vor ihrem Amtssitz in der Downing Street, "will uns als Gesellschaft spalten. Wir werden dies nicht zulassen. Terrorismus, Extremismus und Hass nehmen viele Formen an. Wir werden vor nichts zurückschrecken, um das zu besiegen." (Jochen Wittmann aus London, 19.6.2017)