Wien – Der Vizekanzler will "keine leeren Kilometer" absolvieren: Er halte es derzeit "nicht für sinnvoll", sich mit der Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu beschäftigen, sagte Wolfgang Brandstetter in der ORF-"Pressestunde". Anhängige Beschwerden würden den Verfassungsgerichtshof dazu zwingen, diesbezüglich bald eine Entscheidung zu fällen – da lohne sich der große legistische Aufwand nicht.

In der Sache gebe es ohnehin "keine Unterschiede mehr, die Änderungswünsche nötig machen", argumentiert der Politiker im Dienst der ÖVP, der auch Justizminister ist. Die eingetragene Partnerschaft für Homosexuelle sei gleichwertig, es gebe keine Diskriminierungen mehr: "Es geht nur mehr um den Begriff der Ehe."

Ist das wirklich so? "Diese Behauptung ist unwahr, und Brandstetter weiß das auch", sagt der Anwalt Helmut Graupner, der jene fünf Familien vertritt, welche die vom Vizekanzler angesprochenen Beschwerden eingebracht haben. Das von Graupner angeführte Rechtskomitee Lambda hat die traditionelle Ehe mit der Homopartnerschaft im Detail verglichen – und kommt trotz aller Verbesserungen immer noch auf 29 Ungleichbehandlungen.

Die ganz großen Diskriminierungen seien nicht mehr zu finden, räumt Graupner ein. Manche davon betreffen "nur" spezielle Gruppen wie etwa Ärzte, seien für einen einzelnen Betroffenen aber nichtsdestoweniger ärgerlich. Bei anderen Diskrepanzen – beispielsweise bei Scheidungsfristen oder Unterhaltspflichten – könne man geteilter Meinung sein, welche Bestimmung besser ist, sagt der Aktivist. Doch welchen Sinn ergebe es, all das nach sexueller Orientierung unterschiedlich zu regeln?

Kritiker sieht Partnerschaft zweiter Klasse

Vor allem aber sieht Graupner drei grobe Benachteiligungen, die auch dann an der eingetragenen Partnerschaft klebten, wenn die 29 juristischen Unterschiede bereinigt würden. Erstens würden Staaten wie Irland oder die USA, wo es gleichgeschlechtliche Ehen gibt, die österreichische Variante nicht anerkennen – womit von der Einreise bis zum Steuerrecht Nachteile drohten. Zweitens werde de facto jeder, der – etwa für den Meldezettel – unter Personenstand die eingetragene Partnerschaft statt der Ehe eintragen muss, zum Outing gezwungen. Drittens gelten Kinder Homosexueller damit als unehelich – was ihnen mancherorts, trotzt rechtlicher Gleichstellung, nach wie vor Hänseleien bescheren könne.

Wie von den Gleichstellungsgegnern gewollt, hafte der eingetragenen Partnerschaft damit das Stigma der Beziehung zweiter Klasse an, kritisiert Graupner und zeigt für Brandstetters Verweis auf den Verfassungsgerichtshof kein Verständnis: "Es ist traurig, wenn die Politik da völlig abdankt."

Gute Chance für Schulreform

Brandstetter hingegen nannte noch ein Argument, warum er die Öffnung der Ehe, zu der Koalitionspartner SPÖ einen Gesetzesentwurf vorgelegt hat, nicht verfolgen will: Als Vizekanzler stecke er seine Energie lieber in Vorhaben, die im Gegensatz zur Homo-Ehe-Frage im Regierungsprogramm vereinbart sind. Gute Chancen gibt er dabei der seit Monaten verhandelten Bildungsreform, die Schulen mehr Autonomie geben und Modellregionen zur Erprobung der gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen ermöglichen soll: Es sehe so aus, als würden SPÖ und ÖVP mit den Grünen, die für eine Zweidrittelmehrheit im Parlament gebraucht werden, "eine Lösung finden".

"Eher skeptisch" ist Brandstetter, dass die Regierung noch die Abgeltung der kalten Steuerprogression zusammenbringt, "ganz schlecht" sehe es bei der Mietrechtsreform aus. Noch vor dem Sommer vorlegen will der Justizminister einen Vorschlag für eine Reform des Maßnahmenvollzugs in den Haftanstalten.

Ob er selbst in der Politik bleibt, lässt der formal parteifreie Jurist offen. Eine Andeutung aber: "Es gibt ein Leben nach der Politik – im Normalfall ein schöneres." (Gerald John, 18.6.2017)