Ahmed H., gut bewacht während seines Prozesses in Szeged.

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Das Berufungsgericht in Szeged hat das umstrittene Urteil gegen den Syrer Ahmed H. wegen Verfahrensfehler der Erstinstanz aufgehoben und ein neues Verfahren angeordnet. Der seit Jahren in Zypern lebende Flüchtlingsaktivist war im vergangenen November in Szeged wegen "Terrorismus" zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe verurteilt worden.

Das Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass H. der Anführer des sogenannten Grenzsturms am 16. September 2015 am kurz zuvor geschlossenen Übergang Röszke an der serbisch-ungarischen Grenze gewesen sei. Er habe hunderte dort feststeckende Flüchtlinge zum gewaltsamen Durchbruch der Grenze angestiftet und den Tatbestand des Terrorismus erfüllt, hieß es damals.

Internationale Kritik an erstem Urteil

Das erstinstanzliche Urteil hatte in Menschenrechtskreisen Bestürzung ausgelöst. Das US-Außenministerium hielt in einer Note den Begriff "Terrorismus" für die gewaltsame Ordnungsstörung an einem Grenzübergang für überzogen. Das Europaparlament erwähnte in seiner jüngsten Entschließung zum Demokratieabbau unter dem rechtspopulistischen Regierungschef Viktor Orbán das Urteil gegen Ahmed H. als Beispiel für eine bedenkliche Beugung des Rechtsstaates.

Tatsächlich ist der Terrorismus-Paragraf im ungarischen Strafgesetzbuch recht schwammig formuliert. Den Straftatbestand des Terrorismus erfüllt demnach nicht primär die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, sondern jede gewaltsame Aktion, die darauf gerichtet ist, den Staat und seine Behörden zu einer bestimmten Handlungsweise zu zwingen.

Megafon und Steine

Doch selbst in diesem Licht hatte das "Terror"-Urteil gegen den Syrer keinen Bestand, wie das Berufungsgericht penibel darlegt. Ein Zusammenhang zwischen H.s Ansagen über das Megafon – von Zeugen und Dolmetschern im damaligen Prozess äußerst widersprüchlich übersetzt – und dem Grenzsturm der Menge ließ sich nicht belegen.

Bewiesen werden konnte lediglich, dass Ahmed H. irgendwann einmal drei Gegenstände von der serbischen Seite in Richtung der Polizisten auf der ungarischen Seite geworfen hat. Ob es Steine waren und ob sie irgendjemanden getroffen haben, konnte nicht geklärt werden. Aber auch diese Aktion, die mindestens eine halbe Stunde vor dem Grenzsturm erfolgte, stand – so das Berufungsgericht – in keinem belegbaren Zusammenhang. Insofern wäre dem Syrer allenfalls Widerstand gegen die Staatsgewalt anzulasten.

Zugleich steht die ungarische Justiz unter enormem Erwartungsdruck der herrschenden Politik. Orbán und seine Propagandisten werden nicht müde, Forderungen an die Gerichte zu formulieren.

Ahmed H. bleibt in U-Haft

Das Berufungsgericht verfügte, dass Ahmed H. weiter in Untersuchungshaft bleibt. Möglicherweise, weil sich die Mängel des ursprünglichen Verfahrens immer noch so beheben lassen, dass sich eine Terrorverurteilung "ausgeht". Oder es gab bereits dem Erwartungsdruck der Politik nach. (Gregor Mayer aus Budapest, 16.6.2017)