Dürreresistenter Mais, Weizen ohne Allergene, Rinder ohne Hörner oder Schweine ohne Krankheiten: Gerade einmal fünf Jahre nachdem das vielversprechende Genome-Editing-Werkzeug CRISPR/Cas9 entdeckt wurde, gibt es heute kaum noch einen Teilbereich der Landwirtschaft, für den nicht schon längst konkrete Anwendungen der Gen-Schere in Arbeit sind. Die Methode erlaubt, Erbgut so schnell, präzise und kostengünstig zu verändern wie noch nie zuvor – und das in allen lebenden Zellen. Bis es zugelassene medizinische Therapien gibt, wird es wohl noch dauern. Anders in der Landwirtschaft: Die Liste der Pflanzenzüchtungen, die mithilfe von Genome-Editing entwickelt wurden, wächst stetig. In einigen Ländern liegen bereits erste Zulassungen vor.

Schon heute gibt es etwa virusresistente Gurken, Sojabohnen, bei deren Verarbeitung weniger Transfettsäuren entstehen, oder Champignons, die langsamer braun werden und dadurch länger haltbar sind – und die vor allem länger ansprechend aussehen. Die Pilze wurden im Vorjahr in den USA als erstes mit CRISPR/Cas9 verändertes Nahrungsmittel zum Anbau und Verkauf freigegeben – ohne spezielle Auflagen: Da die minimalen genetischen Veränderungen ohne den Einbau artfremder Gene auskommen und folglich theoretisch auch, wenngleich weitaus aufwendiger und kostspieliger, mit herkömmlichen Zuchtmethoden erreicht werden könnten, entschied das US-Landwirtschaftsministerium, sie wie konventionelle Pflanzen einzustufen.

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Champignons, die länger frisch und ansehnlich bleiben? Einem US-Forscher ist genau das mittels Genome-Editing gelungen. Im Vorjahr wurde der modifizierte Zuchtpilz ohne spezielle Auflagen zum Anbau und Verkauf in den USA zugelassen.
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Regelung gesucht

Von einem klaren Regelwerk für Genome-Editing in der Landwirtschaft ist man aber nahezu überall noch weit entfernt. Während sich die Technologie rasant weiterentwickelt, hinkt die Gesetzgebung hinterher. Aktuell liegen erst in vier Ländern Entscheidungen über den Umgang mit Pflanzen vor, die mit Techniken wie CRISPR/Cas9 verändert wurden. In den USA wurde bisher von Fall zu Fall entschieden. Neben den Champignons wurden seit 2012 auch veränderter Mais, Sojabohnen, Reis und Weizen als "non regulated" klassifiziert, sprich: Für sie gelten dieselben Auflagen wie für herkömmliche Züchtungen.

Einen generellen rechtlichen Rahmen schuf 2015 Argentinien: Das Land entschied, dass modifizierte Pflanzen, die keine artfremden Gene enthalten, nicht unter die Gentechnik-Richtlinien fallen. Ebenfalls 2015 stellte auch Schweden fest, dass die EU-Definition von gentechnisch veränderten Organismen modifizierte Pflanzen ohne Fremdgene nicht einschließt. Einzig in Neuseeland wurde ein restriktiver Beschluss gefasst: Laut einem Erlass von 2016 gelten für alle Pflanzen, deren Erbgut editiert wurde, die Richtlinien für Gentechnik – egal, ob artfremde Gene eingeschleust wurden oder nicht. Die EU-Kommission zögert seit Jahren, sich in der Sache festzulegen.

Wesentliche Unterschiede

Eine Entscheidung ist freilich äußerst folgenreich: Organismen, die als gentechnisch verändert definiert werden, unterliegen strengsten Auflagen. Techniken wie CRISPR/Cas9 stellen Gesetzgeber aber vor eine völlig neue Situation, denn Genome-Editing unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von jener Gentechnik, für die bereits Regelungen geschaffen wurden.

Bei klassischen Gentechnik-Methoden werden neue Gene in einen Organismus eingebracht. Wird dabei artfremdes Erbmaterial verwendet, entsteht ein sogenannter "transgener Organismus" – zum Beispiel Mais, der mithilfe bakterieller Gene resistenter gegen Schädlinge gemacht wurde. Wohin genau im Erbgut eines Organismus solche künstlich eingebrachten Gene gelangen und welche unerwünschten Effekte dort auftreten könnten, ist jedoch schwer vorherzusagen. Dementsprechend aufwendig, teuer und langwierig sind die Herstellungs- und Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen.

Video: Das molekulare Werkzeug CRISPR/Cas9 in drei Minuten erklärt.
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Punktgenaue Präzision

Die Kritik von Gentechnikgegnern bezieht sich hauptsächlich darauf, dass fremde Gene in einen Organismus geschleust werden und damit unkalkulierbare Risiken für Umwelt und Verbraucher eingegangen würden. Bei Genome-Editing-Techniken werden aber häufig keine neuen Gene in den Organismus eingebracht. Vor allem CRISPR/Cas9 zeichnet sich zudem durch eine hohe Präzision aus: Mithilfe der Technik ist es möglich, einzelne vorhandene Gene zielgerichtet zu verändern, an- oder abzuschalten.

Das Risiko, dass dabei unabsichtlich auch andere Regionen des Genoms verändert werden, ist wesentlich geringer als bei klassischen Verfahren. Wird mit dem CRISPR-Cas-System also ein Pflanzengenom ohne Fremd-DNA verändert, ist am Ende gar nicht nachweisbar, ob es sich um eine natürliche Mutation handelt, um das Ergebnis einer Züchtung mit herkömmlichen Methoden oder ob mit Genome-Editing nachgeholfen wurde. Damit fallen nicht nur wesentliche Kritikpunkte weg, auch eine Kontrolle ist kaum durchführbar.

Wie soll eine solche Pflanze also reguliert werden? "Genome-Editing stellt für die Landwirtschaft eine moderne Züchtungstechnik dar, die weltweit jetzt schon breiten Einsatz findet", sagt Eva Stöger. Für die Leiterin des Departments für Angewandte Genetik und Zellbiologie der Universität für Bodenkultur Wien ist eine generelle Gleichstellung mit Gentechnik nicht haltbar: "Produkte, die Veränderungen im Genom tragen, die auch durch klassische Züchtungstechniken und natürliche Mutationen entstehen hätten können und von diesen nicht unterscheidbar sind, sollen meiner Meinung nach auch gleich reguliert werden", so Stöger.

Nachsatz: "Es ist schwer nachvollziehbar, warum sie in Bezug auf Risiken und Gefahren unterschiedlich eingeschätzt werden sollten. Produkte klassischer Züchtung unterliegen ja klar definierten Prüfungen und Regulierungen, und diese sollten hier Anwendung finden." Für Pflanzen, bei denen Genome-Editing dafür verwendet wird, fremdes Erbmaterial an einer spezifischen Stelle im Genom einzusetzen, hänge die Risikoeinschätzung hauptsächlich vom jeweiligen Gen ab, das eingebracht wird, so Stöger. In diesen Fällen solle denn auch die Regulierung für gentechnisch veränderte Pflanzen angewendet werden.

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Kartoffelpflanzen könnten mit CRISPR/Cas9 gegen Pilzkrankheiten resistent gemacht werden und weniger Pflanzenschutzmittel benötigen, argumentieren Forscher. Kritiker warnen vor ungeahnten Folgen für die Umwelt.
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Verträglicher als klassische Zuchtmethoden?

Viele Forscher sehen in CRISPR/Cas9 aufgrund seiner Präzision sogar die biologisch verträglichste Methode der Pflanzenzucht – schließlich stellen auch herkömmliche Züchtungsmethoden rabiate Eingriffe in das Erbgut dar. Mutationen in der DNA kommen in der Natur zwar ständig vor und treiben die Evolution voran, doch keine heutige Nutzpflanze würde ohne massive Nachhilfe so aussehen, wie wir sie kennen. Bei jeder Zucht durch Kreuzung können riesige DNA-Sequenzen ausgetauscht werden, die neben erwünschten Eigenschaften auch schädliche Mutationen einführen können. Von der Behandlung mit Chemikalien oder Röntgenstrahlen, die ebenfalls zu den konventionellen Methoden zählt, ganz zu schweigen.

Aber auch wenn CRISPR/Cas9 präziser ist als seine Vorgänger, vollkommen verlässlich ist auch dieses Werkzeug nicht. Das Risiko sogenannter Off-Target-Effects, also dass zusätzlich zur beabsichtigten Änderung auch andere Stellen im Genom modifiziert werden, kann nicht ganz ausgeschlossen werden. Für die Anwendung am Menschen gilt das als Hindernis, Kritiker sehen darin auch in der Landwirtschaft eine Gefahr für Mensch und Umwelt. Befürchtungen sind auch, wie sich etwa Krankheitserreger in Zukunft entwickeln, wenn Pflanzen durch Genome-Editing gegen Infektionen resistent gemacht wurden.

Vielfältige Zielsetzungen

Für Kellye Eversole, die Vorsitzende des Internationalen Weizen-Genom-Sequenzierungs-Konsortiums (IWGSC), ist eine Zukunft der Landwirtschaft ohne Genome-Editing schlicht undenkbar: "Das Prinzip ist ja nicht neu: Pflanzenzucht beruht von jeher auf genetischer Veränderung. Aber mit dem CRISPR-Cas-System wissen wir erstmals genau, was dabei passiert, und können es gezielt steuern." Die US-amerikanische Wissenschafterin und ihre Kollegen stehen kurz vor der Veröffentlichung der kompletten Genomsequenz des Brotweizens – ein Megaprojekt, das schon vor mehr als einem Jahrzehnt seinen Anfang nahm.

Einen ersten Entwurf haben sie bereits 2014 im Fachblatt "Science" vorgelegt und damit erstmals ermöglicht, spezifische Weizengene schnell und zuverlässig zu finden. Das Weizengenom ist mit 17 Milliarden Bausteinen etwa fünfmal so groß wie das des Menschen, die vollständige "Kartierung" soll nun die Zucht neuer Sorten, die etwa ertragreicher und resistenter gegen Krankheiten oder klimatische Veränderungen sind, entschieden voranbringen. Ein zentrales Werkzeug dafür: CRISPR/Cas9.

"Der Bogen spannt sich bei Genome-Editing in der Landwirtschaft von Krankheitsresistenzen bis zu Verarbeitungseigenschaften und schließt auch für den Konsumenten wahrnehmbare Eigenschaften ein", sagt Zellbiologin Stöger. Die Zielsetzungen neuer Produkte reichen dementsprechend von der Erhöhung der Erträge über Umweltschutz bis hin zur Verbesserung der Welternährung. Als es dem Biologen Yinong Yang von der Pennsylvania State University 2015 gelang, ein Gen im weißen Zuchtchampignon Agaricus bisporus auszuschalten, das an der Bräunung beteiligt ist, reichte seine Universität vorsorglich ein Patent ein. Immerhin handelt es sich bei A. bisporus um den meistangebauten Speisepilz der Welt, es könnte also um sehr viel Geld gehen.

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Molekulare Struktur des CRISPR/Cas9-Komplexes in einer Computersimulation.
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Chancen für den Biolandbau

Rudi Appels von der Murdoch University im australischen Perth denkt in eine andere Richtung: wie man in neuen Weizenzüchtungen gezielt Gene beeinflussen könnte, die an Zöliakie und Glutensensitivität beteiligt sind. Dank der Veröffentlichung der vollständigen Genomsequenz der Pflanze sei es künftig vielleicht möglich, diese Gene aufzuspüren, zu erforschen – und gezielt zu verändern. Ihm schwebt eine Zukunft vor, in der Pflanzenanbau generell viel stärker auf individuelle Bedürfnisse und lokale Gegebenheiten ausgerichtet ist.

Die Landwirte sollen für ihre Böden und die lokalen Klimaverhältnisse spezifisch angepasste Sorten auswählen können, Bäcker wiederum auf konkrete Kundenbedürfnisse eingehen können. "Ich sehe generell keine Zukunft ohne Genome-Editing", sagt Appels. "Ich komme aus Australien, und wenn wir Pflanzen nicht besser an die immer extremeren Umweltbedingungen anpassen, haben wir bald ein Problem – nicht nur auf dem fünften Kontinent."

Einfacher Zugang zur Technologie

Der Pflanzengenetiker Howard-Yana Shapiro, Chef-Agrarwissenschafter des Nahrungsmittelkonzerns Mars Incorporated, arbeitet daran, genau das in einem anderen Rahmen möglich zu machen: In einer wissenschaftlichen Großunternehmung will er mit einem Konsortium das Erbgut von 100 afrikanischen Nahrungspflanzen entschlüsseln und kostenlos veröffentlichen, um den Anbau in Zeiten des Klimawandels zu verbessern und höhere Nährstoffgehalte zu erzielen. So könnte etwa versucht werden, die Verfügbarkeit von Zink, Eisen oder Vitamin A zu erhöhen.

Es geht dabei vor allem um Pflanzen, die lokal bedeutend sind, von der Agrarindustrie aber vernachlässigt und daher kaum weiterentwickelt wurden – zum Beispiel die Yamswurzel, der Brotfruchtbaum oder die Helmbohne. "CRISPR/Cas9 ist in meiner Lebenszeit der Durchbruch aller Durchbrüche. Das Anwendungspotenzial für die Landwirtschaft ist enorm, der Zugang dazu gleichzeitig verhältnismäßig einfach. Was wir in der Genetik und in der Pflanzenzucht erleben, ist eine Demokratisierung: Früher gab es ein paar Gruppen, die mit den besten Technologien forschen und arbeiten konnten, aber das hat sich geändert."

Konsumenten entscheiden

Auch wenn biotechnologische Verfahren wie Genome-Editing nicht in die romantischen Bauernhofbilder vieler Konsumenten passen, erscheinen manche Anwendungen gerade für die Biolandwirtschaft interessant. Ein ungelöstes Problem ist etwa der Falsche Mehltau, eine gefürchtete Pilzkrankheit, deren Bekämpfung mit Pflanzenschutzmitteln durch Bio-Richtlinien stark begrenzt ist. "Mit Genome-Editing könnte man durchaus wünschenswerte Eigenschaften für den Biolandbau realisieren", sagt Eva Stöger. "Durch Resistenzen könnte man wahrscheinlich auf manche Spritzmittel verzichten, aber auch qualitative Eigenschaften könnten verbessert werden – der Antioxidantien-Gehalt zum Beispiel."

Ob Bio- oder konventionelle Landwirtschaft: Neben der noch unklaren gesetzlichen Regelung wird der Erfolg von CRISPR/Cas9 vor allem davon abhängen, wie Konsumenten auf Produkte reagieren, die damit verändert wurden. Ob etwa die haltbaren Champignons in den USA ein Verkaufshit werden, lässt sich noch nicht sagen. In Europa werden derartige Produkte derzeit noch nicht angeboten.

"Zu einem guten Teil hängt das wohl auch davon ab, wie die Medien mit dem Thema umgehen", glaubt Stöger. "Konsumenten sind in der Regel nicht sehr umfassend über Züchtung und Nahrungsmittelproduktion informiert. Da gibt es viele Mythen, die mit der Realität oft wenig gemeinsam haben. Mehr Information und neutrale Aufklärung wäre sicherlich ein Vorteil." (David Rennert, 3.7.2017)