Nicht gerade überbekleidet für die Schützengräben des Ersten Weltkriegs: Doch Diana aka Wonder Woman (Gal Gadot) macht vor, dass es auf den richtigen Kampfgeist ankommt.

Foto: Clay Enos / Warner

Wien – Die erste Frage muss eigentlich lauten, warum es so lange gedauert hat, bis diese betörende Superheldin mit Schild und Wahrheits-Lasso in der Hand die Leinwand erobert. Und Eroberung ist in diesem Fall das richtige Wort: nicht im engeren martialischen Sinn, sondern eher so, wie man ein Herz für sich einnimmt, durch natürliche Ausstrahlung, durch diese leicht wundersame Mischung aus Unschuld und Versiertheit. So souverän ihre Kampftechniken erscheinen – faszinierend wird Wonder Woman erst durch den etwas aus der Zeit gefallenen Habitus einer Amazone.

Ihre Verzögerung hat fraglos damit zu tun, dass das Feld der Superhelden zu lange auf ein männliches Publikum ausgerichtet war. Gleichstellung der Geschlechter auf diesem heißumkämpften Gebiet, das wollte kein Produzent ernsthaft riskieren. Ein notwendiges Zeichen, dachte man darüber vielleicht, aber noch lange kein erfolgreicher Film. Doch die Zeiten haben sich geändert, und gerade im DC-Comics-Universum machte sich zuletzt Ernüchterung breit. Batman v Superman war das jüngste Beispiel dafür, dass selbst zwei Giganten über seelenlosen Krach und Donner nicht hinauskamen.

Emotionaler Schwung

Umso schöner, dass die 1941 von William Moulton Marston kreierte Wonder Woman nun ihr Momentum hat, und wie passend, dass dies erstmals in diesem Highend-Segment in der Regie einer Frau, jener von Patty Jenkins, geschieht. Denn Wonder Woman ist der überraschende Fall eines Blockbusters, der etwas auf erzählerische Sorgfalt hält und die eigentlich unumgängliche Regel befolgt, Attraktionen dem Fluss des Geschehens funktional unterzuordnen. Das hat den immensen Vorteil, dass sich diese mit umso größerem emotionalem Schwung entfalten. Die Immersionshardware im Kino läuft hier nicht wie so oft ohne Inhalt im höchsten Schleudergang.

"I used to want to save the world", sagt Wonder Woman im melancholischen Tonfall noch zu Beginn des Films. Doch die Verzagtheit wird gegen ein frisches Set Karten getauscht, die Erzählung beginnt noch einmal von vorn. Wonder Woman heißt eigentlich Diana, sie wächst unter Amazonen auf der Insel Themyscira auf; ein Refugium für eiserne Kämpferinnen mit seltsamen sprachlichen Akzenten, seit die erste Schlacht gegen Ares, den Gott des Krieges, geschlagen war. Dessen Auferstehung steht seitdem allerdings zu befürchten.

Warner Bros. Pictures

Schon in dieser Exposition beweist Patty Jenkins ihr feines Gespür für Ausgewogenheit zwischen visuellen Spektakeln und einer fast gelassenen erzählerischen Gangart, mit der sie ihren Figuren auch Raum zum Atmen gewährt. Der Einbruch der Gegenwart kommt mit dem britischen Spion Steve (Chris Pine), der vor der Insel abstürzt. Für Diana verkörpert er nicht nur die erste Irritation durch einen Mann, ohne dass sie ihm gleich verfällt. Er weckt ihn ihr auch das Bedürfnis, ihn zu den Verwerfungen des Ersten Weltkriegs zu begleiten.

Die israelische Schauspielerin Gal Gadot – die interessanterweise nicht Jenkins' erste Wahl, sondern die des Studios war – spielt diese Diana, ein wahrer Glücksgriff, denn sie macht einerseits plausibel alle Welt mit weit aufgerissenen Augen auf sich blicken. Andererseits verleiht sie ihrer Figur die Anmut und die Tatkraft eines Wesens aus einer anderen Zeit. Ihre noch dem Mythos verpflichteten Werte sind in der düsteren Moderne mit ihren faulen Kompromissen eigentlich obsolet.

Staunen statt Zweifel

Das Bezwingende an Wonder Woman liegt jedoch darin, dass er diese etwas entrückte Perspektive annimmt und sie weiterträgt, dass er das ein wenig naive Staunen gegenüber dem Zweifel bevorzugt. Etwas, was man als Zuschauer nach den vielen unter ihrem engen Trikot an sich selbst leidenden Superhelden schon bitter nötig hatte. Letztlich ist das Superheldengenre ja immer auch der Versuch, auf uns Menschen mit anderen Augen zu blicken.

In London wird Diana mit komischem Mehrwert als "fish out of water" inszeniert – wer passt schon mit Schild und Schwert durch eine Drehtür? -, ihre Unverblümtheit kommt ihr aber auch bei strategischen Verhandlungen zugute. Doch selbst da, wo sich der Film auf vertrauterem Terrain durch Kriegsschauplätze bewegt und Wonder Womans Superkräfte in von Gitarrenriffs begleiteten Kampfkunsteinlagen zelebriert, verfügt er über ein Pathos, das tatsächlich einzunehmen versteht.

Wonder Woman muss die Regeln des Genres gar nicht brechen – das Finale ist sogar etwas zu viel des pyrotechnischen Brimboriums. Doch er beweist, dass es schon genügen kann, eine Geschichte mit Herz und Verstand zu erzählen und immer auf den szenischen Kitt zu achten. Der kleine Unterschied ist in diesem Fall ein riesengroßer. (Dominik Kamalzadeh, 15.6.2017)