Nehmen wir das Fazit vorweg: Diese Uhr kann wirklich was. Und zwar das, was man von einer Laufuhr heute erwarten kann. Erst recht, wenn sie von jenem Hersteller kommt, der stets betont, dass er 40-jährige Geschichte und Tradition im Tracken und Messen der Leistungsdaten im Sport hat. Und gerade weil in den letzten paar Jahren ein bisserl der Eindruck entstanden ist, dass Polar den Anschluss an die Mitbewerber verloren hätte, ist es umso feiner, dass die Finnen wieder da sind: Die Polar M430 kommt spät – aber dafür wirkt sie wie ein ausgereiftes Produkt, das die Zielgruppe Hobbyläufer dort abholt, wo sie ist – und den Kunden nicht zum Betatester halbfertiger Hard- oder Software degradiert. Das ist in der Welt der Freizeitelektronik nicht selbstverständlich – und auch Polar selbst hat da Sympathien verspielt und Fans verloren. Aber der Reihe nach.

Foto: Thomas Rottenberg

Laufuhren sind Spielzeug: In Wirklichkeit braucht niemand alles, was sie können. Aber wenn man sich daran gewöhnt hat, neben der Relation zwischen aktuellem Lauftempo und anvisierter Finisherzeit des nächsten Halbmarathons auch den Einfluss der Schrittfrequenz auf Mondphasen und Weltfrieden zu erfahren, kann man bald nicht mehr ohne.

Polar war da jahrzehntelang Themen- und Marktführer: Die Messung des Herzschlages (eigentlich: des Pulses) per Brustgurt erfolgte mit annähernd medizinischer Präzision.

Doch mit dem Aufkommen von GPS, Handy-Trackern und Webplattformen samt Social-Media-Anwendungen begann der Riese zu schwächeln: Es begann mit der Nichtkompatibilität mit Apple-Produkten vor Jahren – und endete 2016 mit M600, einer Lifestyle-Uhr: Polar hätte damit der Apple-Watch erfolgreich Konkurrenz gemacht – wenn das Publikum bei Polar nicht an Sport- und Leistungsmessung, sondern eben an schicken Fitness-Schnickschnack denken würde.

Foto: Thomas Rottenberg

Dazwischen – 2014 – kam, nach ein paar Fitnesstrackern, im High-End-Bereich mit der V800 eine wirklich sehr gute Multisport- und Triathlonuhr (die ich jahrelang begeistert benutzt habe) auf den Markt. Das Imageproblem hier: Sie war ewig angekündigt worden – und kam dann halbfertig auf den Markt.

Doch dann kam die M400: eine abgespeckte Version der V800. Die 400er funktionierte hervorragend. Und wurde zum Hit: Eine der meistverkauften Lauf- und Sportuhren der Laufwelt.

So weit, so schön und wunderbar – mit einem Schönheitsfehler: Zur gleichen Zeit begann sich ein neues Feature zu etablieren: Pulsmessung am Handgelenk, direkt "ab Uhr". Eine neue Generation von Sportuhren maß Puls über optische Sensoren über minimale Volumsveränderungen der Haut. Tricky – und gerade bei Körpern in Bewegung fehleranfällig.

Kein Wunder, dass man bei Polar zögerte, da voll einzusteigen: Als Instanz in Sachen Pulsmessung durfte man nicht riskieren, plötzlich als unzuverlässig zu gelten.

Foto: Thomas Rottenberg

Nachvollziehbar – und eine Lose-lose-Position: Mitbewerber warfen ein optisch messendes Gerät nach dem anderen auf den Markt. Mit wechselnder, aber steigender Genauigkeit. Vor allem Frauen – DER Markt in der Lauf- und Fitnessszene – fuhren darauf ab: Männern sind Brustgurte mit Sensor meist wurscht. Für Frauen ist die Kombi aus Sport-BH und Gurt aber oft eine scheuernde Tortur. Bei Tom Tom, vor Jahren einer der ersten Anbieter von brauchbaren Handgelenks-Mess-Uhren, erzählt man heute noch, wie der Stand beim Frauenlauf gestürmt worden war.

Polar wartete ab: Ein paar Fitnesstracker (ohne GPS) kamen zwar, aber dort, wo der große Markt der Läufer und Läuferinnen zu Hause ist, gab es nix. Lange. Zu lange.

Obwohl man das natürlich auch erklären kann – und sogar die renommierten Mitbewerber betonen, dass zumindest bei rasch wechselnder Intensität (etwa beim Intervalltraining) Brustgurte exaktere und verlässlichere Ergebnisse liefern.

Darüber hinaus können (und werden) kalte Finger, dichtes Armhaar, Schweiß, Wasser, starke Pigmentierung oder Tattoos die Messung stören. Und wenn man die Uhr über der Jacke oder am Radlenker trägt oder – aus Reglements- oder Sicherheitsgründen – neben dem Spielfeld oder in der Tasche tragen muss … Und so weiter: Schon meine Sommersprossen am Arm knocken fast alle optischen Sensoren aus.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber egal: Der Weg ist klar – und geht zur optischen Messung. Als die deutschen Garmin-PR-Leute im April in Wien ihre Musterkoffer zeigten, war da keine einzige Uhr – von billig bis unleistbar – ohne grüne Leuchtdioden dabei. Und das, hieß es, "ist kein Zufall: Ohne optische Sensoren geht nix mehr."

Polar hatte da zwei GPS-lose Fitnesstracker und mit der M200 ein Einsteiger-Laufuhrenmodell im Rennen. Und die M430 angekündigt. Gerüchte sprachen vom eventuell im Herbst kommenden Nachfolger für die V800.

Die Folgen des Wartens sind sichtbar: Auch in meinem Umfeld wechselten etliche Bekannte. Während in der Lauf-Community die M400 ihren Platz behauptete, übernahm im Tri- und Multisportbereich Garmin die Führung (sagt Garmin).

Foto: Thomas Rottenberg

Ende der ersten Juniwoche lag dann aber die so lange versprochene M430 da. Von oben von der 400er nicht zu unterscheiden. An der Rückseite aber – eh klar – ganz eindeutig ein anderes Ding. (Nebenbei ist mein Ladekabelarsenal um eine weitere Steckerversion gewachsen. Das nervt ein bisserl.)

Egal: Laden und Synchronisieren über Polar-Flow (die Plattform von Polar) funktionierte auf Anhieb. An den Polar-typischen Aufbau von Programm und Funktionen erinnerte ich mich innerhalb weniger Sekunden. Das – also das unterschiedliche, markenspezifische Handling – ist Hauptgrund für viele User, ihrer Marke treu zu bleiben: Jeder Hersteller hat seine eigene Logik und Menü-Philosophie. Auch wenn Uhren einer Preisklasse überall in etwa das Gleiche können, ist diese Prägung das, was den Unterschied zwischen "einfach" oder "kompliziert" definiert.

So konfiguriert man bei Polar beispielsweise die Displays auf der Uhr am Rechner. Bei Garmin am Wecker: Am Rechner hat man mehr Überblick – auf der Uhr kann man noch zehn Sekunden vor dem Start eine neue Ansicht basteln. "Besser"? Subjektiv.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich nahm die M430 zuerst zum Radfahren mit. Als Referenzgerät diente mir mein (regulär gekaufter) Garmin Forerunner 735xt: Der kann auch am Handgelenk messen, tut das auch ganz okay – aber am Rad habe ich die Uhr am Lenker. Außerdem will mein Trainer exakte Werte. Also: Gurt.

Die M430 überraschte mich: Ich hatte erwartet, "Spaßwerte" zu bekommen. So wie zuletzt, als ich die Suunto Spartan Sport Wrist HR testete. Weit gefehlt: Das Ding liefert präzise Werte, die mit denen der Gurt-Garmin ident waren. Ein paar Schläge rauf oder runter zählen nur auf der Intensivstation. Auch weil die Verarbeitung der Daten bei zwei Geräten nicht in der gleichen Nanosekunde passieren muss. Und leichte Pulsveränderungen sind wohl auch nicht in der gleichen Millisekunde an Brust und Hand zu messen.

Fakt war: Die M430 war sowohl bei schnellen, harten Antritten als auch bei langen, kontinuierlichen hohen wie niedrigen Belastungen so präzise, wie bisher kein Gerät, das meinen Puls optisch messen wollte.

Foto: Thomas Rottenberg

Tags darauf – es war Sonntag und Wien ein schwüler Backofen – kam der erste Laufeinsatz. Ein lockerer, flacher, bewusst langsamer Zweistundenlauf am späteren Nachmittag. Das Test-Setup war das des Vortages: Polar an der Hand, Garmin an der Brust. Wieder waren die Werte ident. Mit Abweichungen, die höchstens beim Steuern von Lenkwaffen relevant sein dürften. Zumindest während der ersten Stunde.

Foto: Thomas Rottenberg

Denn dann – ohne jeden Anlass – schnalzte der (Hand)Puls nach oben. Während die Garmin brav und solide 125er zeigte, maß die M430 plötzlich 155 Beats – fuhr aber nach einer oder zwei Minuten wieder auf den richtigen Wert hinunter. Ohne dass ich am Sitz der Uhr oder an sonst etwas etwas verändert hätte. Das wiederholte sich bis zur 90. Minute noch zweimal – dann war der Spuk vorbei: Das Werkel lief wieder präzise.

Wieso? Keine Ahnung. Vielleicht – aber das ist eine Mutmaßung, weil mir sonst keine Erklärung einfällt – hatte es etwas mit dem fast leeren Akku zu tun: Kurz vor dem "Schnalzer" hatte die Uhr mich daran erinnert, dass ich tatsächlich vergessen hatte, sie zu laden – mit der gewählten maximalen GPS-Genauigkeit würde das Werkel noch etwa eine Stunde halten. (Ob man die GPS-Genauigkeit "on the go" umstellen kann, wollte ich unterwegs nicht nachschauen. Man kann aber.)

Was ebenfalls funktionierte und für manche Leute wohl praktisch ist (von mir aber beim Laufen deaktiviert wird): Benachrichtigungen vom Smartphone kommen gut und lesbar an. Hier schlägt Polar Garmin um Längen: Helligkeit und Kontrast des Displays sind um Welten besser. Auch dass man im Standby-Modus den Puls ablesen kann, ist kein Malus.

Foto: Thomas Rottenberg

Was bei der anvisierten ZIelgruppe aber wohl als Manko aufscheint: Über die Uhr kann man weder MP3-Player steuern, noch lässt sich auf ihr Musik speichern. Mir persönlich egal – aber ich bin nicht Kernzielgruppe.

Denn mir fehlt hier ein anderes Feature: Die M430 kann Koppeltraining, Multisport, Dua- oder Triathlon nicht tracken. Sie erkennt auch keine Schwimmstile. Bloß ist das kein Fehler – sondern schlicht und einfach nicht das, wofür diese Uhr konzipiert und ausgelegt ist: Ein Hubschrauber ist kein U-Boot.

Und das bringt mich zurück zum Fazit: Die Polar M430 kann nämlich wirklich was. Und dieses "Was" ist eine ganze Menge: Nämlich genau das, was man von einer Laufuhr heute erwarten kann, darf und soll. (Thomas Rottenberg, 14.6.2017)

Die Polar M430 kostet 229,95€.

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Uhr wurde für den Test vom Hersteller zur Verfügung gestellt.


Weiterlesen

Wieder einmal: Sportuhren im Vergleich

Eine Superuhr – wenn sie einmal fertig ist: Die Polar V800

Foto: Thomas Rottenberg