Pause an einer Wiener Schule: Es geht darum, voneinander zu lernen und dazuzugehören – nicht um Verbote.

Foto: Andy Urban

Alle paar Monate kommt das Thema Deutschpflicht auf Schulhöfen in die Medien. Deutschpflicht können nur Menschen fordern, die vom Zweitspracherwerb keine Ahnung haben. Viele Wissenschafter, etwa der kanadische Pädagogikprofessor Jim Cummins, haben schon vor vielen Jahren erforscht, dass eine Zweitsprache nur dann gut gelernt werden kann, wenn die Muttersprache schriftlich und mündlich beherrscht wird.

Eine Lehrerin sollte ihre Schüler und Schülerinnen dazu ermutigen, ihre Muttersprache zu sprechen und den anderen Kindern Wörter ihrer Sprache beizubringen. Natürlich muss Deutsch die Unterrichtssprache sein, denn Schule ist der Ort, an dem die Kinder Deutsch lernen. Das gilt übrigens für alle Kinder, die in die Schule kommen, denn die wenigsten Kinder in Österreich sprechen Schriftsprache.

Die meisten Kinder sprechen einen Dialekt. Ich könnte etwa behaupten, meine Muttersprache ist Oberösterreichisch. Natürlich spreche ich gut Deutsch, aber es gibt Momente – meist die, die sehr persönlich sind, wenn ich mich sehr ärgere oder wenn ich mich sehr freue -, in denen falle ich automatisch ins Oberösterreichische zurück. Ich spreche auch sehr gut Englisch, aber selbst nach einem Jahr Cambridge-Proficiency-Kurs in London fehlen mir viele Wörter, und ich bin unzufrieden mit mir, weil ich nicht genau das sagen kann, was ich in meiner Muttersprache sagen könnte.

Schule ist für alle Kinder da. Ich bin Lehrerin an einer Wiener Volksschule. Wenn die kleinen Wiener und Wienerinnen in die Schule kommen, können manche schon schwimmen, lesen, schreiben und rechnen, die anderen können keine Schere halten, wieder andere nicht drei Minuten stillsitzen, andere können nicht Deutsch. Es gibt auch Kinder, die den Stoff der ersten Schulstufe schon beherrschen, sich aber die Schuhbänder nicht alleine binden können.

All diese Kinder gilt es individuell zu fördern. Das ist die Megaaufgabe und alleine schwer zu schaffen. Sicher müssen die Klassen besser durchmischt sein, was bei der Schule ums Eck auch in Wien möglich wäre, würden alle sie besuchen. Eine Klasse bildet immer die Gesellschaft ab. Würden wir Erwachsene uns mehr bemühen, Menschen, die nicht so gut Deutsch können, besser kennenzulernen, wäre es auch für die Kinder einfacher. Hand aufs Herz: Wie viele Eltern haben schon jemals KlassenkameradInnen ihrer Kinder namens Mustafa, Kevin oder Hatice zu sich nach Hause eingeladen? Haben unsere Kinder überhaupt solche KlassenkameradInnen?

Sprache lernt man, wenn man spricht. Sprache lernt man voneinander und miteinander. Eine gemeinsame Sprache lernt man, weil man dazugehören will und erkennt, dass die anderen das auch möchten. Niemals lernt man eine gemeinsame Sprache durch das Verbot der Muttersprache. (Michaela Schüchner, 12.6.2017)