Ex-"Sputnik"-Journalist Andrew Feinberg: "Sputnik ist der Anfangspunkt für Missinformation, die von Rechtsaußen übernommen wird; denn die Rechten und Russland haben dieselben Feinde."

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In der Erwartung eines trockenen Agentur-Jobs heuerte US-Journalist Andrew Feinberg beim russischen "Sputnik" an. Bald stellte sich heraus: Seine Chefs verfolgten ganz eigene Ziele – und wiesen ihn sogar an, bei den Pressebriefings im Weißen Haus bestimmte Fragen zu stellen. Damit sollten unter anderem Verschwörungstheorien im russischen Interesse befeuert werden, sagt Feinberg, der nach einem Disput gekündigt wurde.

STANDARD: Wie sind Sie Korrespondent im Weißen Haus für "Sputnik" geworden?

Feinberg: Ich sah eine Werbung auf einer Jobplattform für Journalisten und habe mich beworben. Ich dachte: Warum nicht? Staatlich finanzierte Medien spielen ja eine wertvolle Rolle. Al Jazeera, France 24 und die BBC machen sehr gute Arbeit, also hatte ich keine grundsätzliche Abneigung dagegen. Die erste Frage beim Bewerbungsgespräch war: Was würden Sie tun, wenn wir von Ihnen verlangten, die Unwahrheit zu schreiben? Ich sagte: Ich würde kündigen. Das schien sie zufriedenzustellen, denn sie haben mich angestellt.

STANDARD: Sie wussten aber bestimmt über "Sputniks" Reputation Bescheid – es ist ja nicht wirklich wie die BBC.

Feinberg: Ich wusste das. Aber mir wurde ein bestimmter Grad an redaktioneller Unabhängigkeit versprochen. Was die meisten Leute nicht wissen: Sputnik betreibt zwei Publikationen. Eine Nachrichtenagentur, für die ich gearbeitet habe, und die Website, die oft schier lächerlich ist. Ich hatte nichts dagegen, für eine Agentur zu schreiben. Ich dachte mir damals: Es ist wohl ziemlich schwierig, Propaganda über eine Agentur zu verbreiten. Solche Meldungen sind ja üblicherweise sehr trocken.

STANDARD: Wie war es dann tatsächlich?

Feinberg: Zum einen: Sie erlauben keine Namenszeilen. Ich habe das für mich dann durchgesetzt, aber es war ihnen zuwider. Denn wenn ein Artikel namentlich gekennzeichnet ist, ist man dafür verantwortlich – und dann spielt die Wahrheit eine Rolle. Ohne Verantwortung keine Wahrheit.

STANDARD: Was war noch anders im Vergleich zu Ihren früheren Jobs?

Feinberg: Teil des Jobs als Korrespondent im Weißen Haus ist es, Fragen bei den Pressebriefings zu stellen. Einmal fragte ich, ob der Präsident Waffen in die Ukraine liefern würde. Darauf wurde ich angewiesen, meine Fragen in Zukunft vorher von den russischen Chefredakteuren absegnen zu lassen. Ihre Begründung war, dass das die Berichterstattung erleichtern würde. Das war natürlich eine Lüge. Sie wollten meine Fragen genehmigen.

STANDARD: Um wessen Interessen zu bedienen?

Feinberg: Wer auch immer am oberen Ende jener Befehlskette steht, an deren unterem Ende ich war.

STANDARD: Handelte es sich dabei um redaktionelles Interesse oder reine Kreml-Propaganda?

Feinberg: Lassen Sie es mich so sagen: Einige der Fragen, die mir aufgetragen wurden, hatten nichts mit der Realität zu tun. Einmal wurde ich angewiesen, eine Frage zu stellen, die implizierte, dass der Giftgasangriff im syrischen Khan Sheikhun ein Hoax und nie passiert sei. Ein anderes Mal sollte ich den USA Heuchelei vorwerfen. Je mehr ich dagegen ankämpfte, desto stärker haben sie mich zurückgedrängt.

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"Telling the untold": Das von Russland finanzierte Medium "Sputnik" soll erzählen, was andere verschweigen – oft Falsches, findet der Exredakteur.
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STANDARD: Was war dann der Anlass dafür, dass Sie "Sputnik" verließen – und wie ist es passiert?

Feinberg: Im Sommer vor der Wahl wurde ein Mitarbeiter der Demokratischen Partei namens Seth Ritch bei einem Raubüberfall erschossen. Das war etwa zur gleichen Zeit wie die Enthüllungen durch Wikileaks über die Demokraten. Allgemein wird angenommen, dass die Hacker, die die Demokraten angegriffen hatten, Verbindungen zum russischen Geheimdienst hatten, genauso wie Wikileaks. Rechte Amerikaner und die Leute bei Sputnik verbreiteten die Verschwörungstheorie, dass der Mitarbeiter von den Demokraten ermordet wurde, weil er diese ganzen E-Mails geleakt hätte. Sie waren sehr engagiert in der Verbreitung dieser Theorie. Denn wenn Seth Ritch die Daten geleakt hat, war Russland nicht involviert. An meinem letzten Tag bestellten sie mich zu einem Meeting und sagten: Wir wollen, dass du Fragen über Seth Ritch stellst. Ich sagte, dass ich mich dabei nicht wohlfühlte – und sie hatten das Kündigungsschreiben schon vorbereitet.

STANDARD: Das klingt so, als sei das ein Test gewesen.

Feinberg: So weit würde ich nicht gehen. Ich glaube, sie wussten, dass ich mit der Arbeit nicht glücklich war ... Vielleicht war es so etwas wie ein Test, ich würde nur das Wort nicht verwenden – das beschreibt ein sinistres Motiv, das ihnen mehr Anerkennung zollt, als ich bereit bin zu tun.

STANDARD: "Sputnik" und das Unternehmen dahinter wächst und hat Büros auf der ganzen Welt. Können Sie beschreiben, wie die Organisation aus Ihrer Sicht als Journalist funktioniert?

Feinberg: Ich kann nur für das Büro in Washington sprechen, weil ich nur dort gearbeitet habe. Auf der Agenturseite, auf der ich beschäftigt war, gab es vier Chefredakteure: Zwei davon waren Russen, und sie hatten absolut das Sagen. Die Amerikaner hatten keinerlei Autorität. Ich weiß auch nicht, ob die Agenturmeldungen irgendjemand abonniert, abgesehen von der russischen Regierung.

STANDARD: Die russischen Medien "Sputnik" und "Russia Today" (RT) sind vor allem in den sozialen Medien sehr erfolgreich. Halten Sie es für ein Problem, wenn die russische Regierung ihre Interessen so vertritt – und wenn ja, was ist dagegen zu tun?

Feinberg: Wäre Sputnik einfach nur ein weiteres staatlich finanziertes Medium wie die BBC, Al Jazeera oder Voice of America, würde ich mir keine so großen Sorgen machen. Aber ihre Stärke in den sozialen Medien macht Sputnik und RT so gefährlich. Sie verbreiten kaum Geschichten, die komplett falsch sind – es wäre zu schwierig, damit davonzukommen. Stattdessen verwenden sie wahre Geschichten, um unwahre Erzählungen zu stützen. Und was bei Sputnik erzählt wird, streut weiter in das Universum rechter Publikationen in den USA: Was auf Sputnik beginnt, endet auf Infowars und Breitbart. Sputnik ist der Anfangspunkt für Missinformation, die von Rechtsaußen übernommen wird; denn die Rechten und Russland haben dieselben Feinde.

STANDARD: Die Lösung?

Feinberg: Habe ich nicht. Wenn wir sie verbieten, sind wir genauso schlimm wie Wladimir Putin. Ich denke, die Lösung liegt in der Bildung. Die Leute sollten wissen, wie sich Sputnik und RT von anderen staatlich finanzierten Medien unterscheiden; deswegen nenne ich sie staatlich kontrolliert. Denn Sputnikfolgt der Direktive der russischen Regierung. Dagegen kämpft man nicht an, indem man sie zum Schweigen bringt, sondern indem man sie in Wahrheit und Bildung ertränkt, damit Leute wissen: Was hier passiert, ist kein echter Journalismus. Deswegen erhebe ich meine Stimme. (Sebastian Fellner, 11.6.2017)