Whatsapp ist der amerikanische Kurznachrichtendienst, über den viele Menschen kostenlos Botschaften austauschen, in Gruppen chatten und auch telefonieren.

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Whatsapp und Skype stärker überwachen, so lautet der Vorschlag von Verfassungsschutz-Chef Peter Gridling als Reaktion auf die Frage, wie sich Anschläge wie jener in Manchester verhindern ließen. Gleichzeitig erklärt er die Schwierigkeit, jene 300 Personen dauerhaft zu überwachen, die in Österreich als "Gefährder" eingestuft werden. Das wirft einerseits die Frage auf, wie umfassende Überwachung Sicherheit garantieren soll, wenn bereits gezielte Überwachung die Behörden an ihre Belastungsgrenzen bringt. Andererseits sollten der Sinn und die Effektivität weitreichender Überwachung diskutiert werden, denn auch das Abhören von Whatsapp und Skype kann keine absolute Sicherheit garantieren.

Der Vorschlag Gridlings ist sowohl historisch als auch global gesehen keine Ausnahme – sondern eher der Regelfall. Denn die Forderung nach umfassender Überwachung, speziell nach Terroranschlägen, ist seit 9/11 und der damit verbundenen Verabschiedung des Patriot-Acts durch die Bush-Administration zu einem verbreiteten Paradigma in westlichen liberalen Demokratien geworden. Ein engeres Überwachungsnetz würde helfen, Anschläge zu verhindern, so die Argumentation der Behörden. Dabei ist es höchst fragwürdig, ob die umfassende Überwachung tatsächlich mehr Sicherheit garantiert. Sowohl der Attentäter von Berlin als auch jener in Manchester waren den Behörden bereits bekannt. Öffentliche Räume werden verstärkt videoüberwacht, dennoch steigt die Kriminalitätsrate. Terroranschläge sind trotz zahlreicher Überwachungsmaßnahmen traurige Realität des globalen Alltags. Wie lässt sich Überwachung rechtfertigen, wenn sie die Sicherheit nachweislich nicht erhöht?

Zusätzlich erklärte Innenminister Wolfgang Sobotka Anfang des Jahres, dass es in Österreich keine konkreten Bedrohungsszenarien hinsichtlich Terrorismus gibt, neue Überwachungsmaßnahmen wurden jedoch vor dem Hintergrund terroristischer Bedrohungen beschlossen. In der Diskussion rund um Sicherheit gerät die Problematik, dass die Überwachung als Instrument sozialer Kontrolle negative Einflüsse auf die Gesellschaft mit sich bringt, in den Hintergrund. Michel Foucault beschreibt die panoptische Gesellschaft – eine Gesellschaft, in welcher aufgrund eines Bedrohungsszenarios die Bewegung von Bürgerinnen und Bürgern massiv überwacht wird, wodurch das gesellschaftliche Leben einer totalen Kontrolle untersteht. Überträgt man diese Konzeption in das digitalisierte Zeitalter, so stellt die Überwachung der Telekommunikation in unserem Zeitalter eine neue Form sozialer Kontrolle dar. Dadurch schafft man – überspitzt formuliert – eine Biedermeiergesellschaft wie im 19. Jahrhundert unter Metternich.

Eine moderne Biedermeiergesellschaft leidet weniger unter direkter Zensur und einem Spitzelwesen als unter der Machtlosigkeit gegenüber dauerhafter Überwachung. Überwachung findet an jedem Ort gesellschaftlichen Lebens statt – und erzeugt dadurch Strukturen, die George Orwells Dystopie 1984 ähneln. Das ständige Narrativ einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit droht einen entpolitisierten Raum zu schaffen. Die Möglichkeit, Menschen vorzeitig als "Gefährder" zu bezeichnen, untergräbt jede Form des politischen Aktivismus, da unliebsame Aktionen sofort als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit deklariert werden könnten.

Ständiges Misstrauen

Die Überwachung führt zu ständigem Misstrauen in der Bevölkerung – Nachbarn können auf einmal ohne erkennbaren Grund "Gefährder" sein. Misstrauen, Angst und Kontrolle gesellschaftlichen Lebens – Aspekte, die die Biedermeiergesellschaft und die heutige Gesellschaft verbinden.

Überwachung ist lediglich subtiler geworden – digitale Technologien vereinfachen die Sammlung ungemeiner Datenmengen. Durch moderne Kommunikationsmittel ist der heutige Mensch gläserner und leichter auszuspionieren als im 19. Jahrhundert, gleichzeitig ist es beinahe unmöglich, die gesammelten Datenberge zielführend zu analysieren. Die Möglichkeiten der umfassenden Überwachungen mögen zwar das subjektive Sicherheitsgefühl erhöhen – objektiv gesehen erzeugen sie jedoch mehr Unsicherheit.

Dies liegt auch an der fehlenden Regulierung der Überwachung, die Auswüchse wie beispielsweise das Prism-Spionageprogramm der NSA, in dessen Rahmen weitläufig überwacht wurde, zulässt. Wenn überwacht wird, braucht es dafür ganz klare Regeln, welche insbesondere gesellschaftlichen Anforderungen angepasst werden sollten, anstatt rein sicherheitspolitischen Überlegungen Rechnung zu tragen. Gesellschaftliche Akteure müssen sich als Gegenpol zu überwachenden Behörden positionieren und die "Überwacher" kontrollieren, um den negativen Entwicklungen entgegenzusteuern.

Es braucht eine kritische Auseinandersetzung mit einem der zentralen Paradigmen globaler Sicherheitspolitik. Denn die Effektivität der Überwachungsmaßnahmen ist fragwürdig, die Effekte auf die Gesellschaft sind jedoch deutlich spürbar. Durch die Aufrechterhaltung von Bedrohungsdiskursen hat die Politik einen ständigen Ausnahmezustand geschaffen – und dadurch zum Entstehen einer verängstigten Gesellschaft beigetragen. Sicherheitspolitik sollte auch ohne umfassende Überwachung möglich sein – allerdings hat der globale Diskurs in den letzten Jahren eine Alternativlosigkeit suggeriert, aufgrund welcher Überwachung das zentrale Instrument innerer Sicherheit bleibt.

Vorschläge wie jener, Whatsapp und Skype generell zu überwachen, bedienen damit ein global vorhandenes Narrativ; die Durchführung würde allerdings anstatt verbesserter Sicherheit einen weiteren Schritt in eine Biedermeiergesellschaft bedeuten. (Clemens Binder, 7.6.2017)