In Österreich beziehen rund 2,3 Millionen Menschen eine Pension, tatsächlich ausgezahlt werden jedoch 2,7 Millionen Pensionen.

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Wien – Österreich hinkt in der Altersvorsorge im europäischen Vergleich hinterher. Auf diesen Punkt konnten sich Bernd Marin, Gründer des Europäischen Bureaus für Politikberatung und Sozialforschung, und der ehemalige Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn in einem Pressegespräch am Mittwoch einigen.

Kritik gab es vor allem an der zweiten Säule, der Betriebspension. Diese ist laut Marin in Österreich ein Minderheitenprogramm. "Politik und Interessenverbände agieren häufig unfassbar verantwortungslos", sagt der Sozialwissenschafter. Er vergleicht Pensionen mit Vorsorgeuntersuchungen und Safer Sex: Jeder wisse, dass es gut sei, und halte sich dennoch nicht immer daran. "Österreicher sind Vorsorgemuffel." Als Lösung nennt Marin die Integrierung von Firmenpensionen in Kollektivverträge.

Pension abhängig von der Kinderzahl

Sinn geht einen Schritt weiter und plädiert für die Schaffung einer weiteren Pensionssäule, abhängig von der Anzahl der eigenen Kinder: "Junge Leute müssen, wenn sie ins Arbeitsleben eintreten, über ein Pflichtsparprogramm sparen, und wenn sie dann Kinder kriegen, wird dieses Ersparnis sukzessive mit jedem weiteren Kind erlassen", erklärt Sinn. Als Ausgleich würden Eltern eine zusätzliche umlagefinanzierte Pension erhalten. Kinderlose Menschen hätten aufgrund der wegfallenden Kosten der Kindererziehung mehr Ressourcen und müssten "halt weiter sparen".

Das derzeitige Modell sieht Sinn aufgrund der niedrigen Geburtenrate gefährdet: "Die Babyboomer wollen in 15 Jahren eine Pension von Kindern haben, die es nicht gibt." Das System der umlagefinanzierten Pension beschreibt er als paternalistisch: "Eltern erbringen Erziehungsleistungen, aber die Arbeitskraft steht später nicht den Eltern zur Verfügung, sondern der Gemeinschaft insgesamt." Marin bezeichnet diese Idee als reaktionär, auch die Idee einer alternden Gesellschaft treffe nicht zu: "Europa verjüngt sich eher, als dass es altert."

Vorsorgewüsten und Vorsorgeparadiese

Viel Kritik gibt es von Marin auch an der "Koexistenz aus Vorsorgewüsten und Vorsorgeparadiesen" in Österreich. Laut aktuellen Berechnungen der Statistik Austria (Stand 2015) beziehen rund 2,3 Millionen Menschen in Österreich eine Pension, tatsächlich ausgezahlt werden jedoch 2,7 Millionen Pensionen. Die Schräglage ergibt sich aus Doppel- und Mehrfachpensionen: 14 Prozent aller Pensionisten erhalten zwei oder mehrere Renten. "Eine dreiviertel Million bis eine Million Menschen sind im besten Erwerbsalter und beziehen eine Pension", sagt Marin. Kritik gibt es auch an "Übergenüssen bei staatlichen Pensionen und Luxusrenten im geschützten Sektor". Als Beispiel nennt Marin ehemalige Angestellte der Bundesbahnen, deren Pensionen teilweise höher seien als die Einkommen aktiver Mitarbeiter.

"Das Pensionssystem muss ein Gesamtkunstwerk sein", sagt Marin – eine Neujustierung sei notwendig, stehe in Österreich aber noch weitgehend aus. Er schlägt eine Konsolidierung der ersten Säule, der gesetzlichen Pension, und eine Stärkung der zweiten Säule vor. Staat und Betriebe müssten dabei Hand in Hand gehen. Die dritte Säule der privaten Vorsorge würde nach Marin erst nach der Sanierung der ersten beiden eine Rolle spielen. Dazu gehöre auch die Abschaffung des nach Geschlecht unterschiedlichen Pensionsantrittsalters, das der Rentenexperte eine "zurückgebliebene Idee" nennt. (lauf, 7.6.2017)