Wenn ein Land binnen neun Wochen zum dritten Mal vom islamistischen Terror eigener Bürger heimgesucht wird, ist eine Debatte über die zukünftige Sicherheits- und Gesellschaftspolitik unablässig. Am besten wird sie mit kühlem Kopf geführt. Doch das ist in Großbritannien derzeit schlecht möglich, weil die Debatte mit dem Wahlendspurt zusammenfällt.

Premierministerin Theresa May ging mit schlechtem Beispiel voran. Zwar verkündete sie am Sonntag, kaum mehr als zwölf Stunden nach der Attacke auf London Bridge und Borough Market, eine kurzzeitige Unterbrechung des Wahlkampfs. Dann aber beschränkte sie sich nicht auf die Information der Bevölkerung, sondern eröffnete die politische Debatte über die Folgen des Terrors.

"Genug ist genug" – dieser Satz ist von ähnlicher Sinnentleertheit wie Mays monatelanges Mantra "Brexit bedeutet Brexit". Zum einen stufte sie damit bisherige islamistische Massenmorde herunter in die Kategorie "gerade noch erträglich". Zum anderen läuft sie Gefahr, von zukünftigen Taten gewaltbereiter Muslime widerlegt zu werden.

Inhaltlich blieb May die so wichtigen Details schuldig. Einige auf der Hand liegende Tatsachen und Handlungsanweisungen aufzuzählen und dies als "Vier-Punkte-Programm" zu verkaufen reicht eben nicht aus. Man wird den Verdacht nicht los: Es sprach die von 2010 bis 2016 amtierende Innenministerin, die von eigenen Versäumnissen in der Terrorbekämpfung ablenken will.

So hat die Koalitionsregierung 2011 die Kontrolle terror-affiner Muslime, die bisher keiner Straftat überführt werden konnten, aus Bürgerrechtsgründen entschärft. Die Zahl der zum Schusswaffengebrauch ausgebildeten Polizisten sank von 6976 im März 2010 auf 5639. Gekürzt wurde auch bei Streifenbeamten, deren Verbindung zur Bevölkerung oft wertvolle Hinweise bringt. Immerhin hat May recht mit dem Satz, es gebe auf der Insel "viel zu viel Toleranz gegenüber Extremismus". Apologeten des radikalen Islam jammern über Islamophobie und fordern Respekt. Zugleich dulden sie in eigenen Reihen Frauenverachtung, Antisemitismus und Abgrenzung von westlichen Werten.

Oppositionschef Jeremy Corbyn gehört selbst zu jenen, die dem Extremismus unterschiedlicher Couleur – früher irisch, heute islamistisch – zu viel Verständnis entgegenbringen. Recht hat er aber mit der Aussage, eines der "unangenehmen Gespräche" müsse May mit dem Verbündeten Saudi-Arabien führen. Die Saudis kaufen nicht nur um Milliarden britische Waffen, sondern finanzieren auch die fanatische Abart des Islam mit, die Jihadisten gebiert.

Am Ende der Debatte, hofft May, sollten die Menschen nicht länger in Ghettos nebeneinander herleben, sondern ein "vereinigtes Königreich" bilden. Das ist ebenso wünschenswert wie unrealistisch. Das Ziel muss sein: Behörden und die große Mehrheit gut integrierter Muslime sorgen dafür, dass Fanatisierte nicht mehr ihre Landsleute in die Luft sprengen oder mit Schlachtermessern angreifen. (Sebastian Borger, 5.6.2017)