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Wladimir Putin im Interview.

Foto: Sputnik/Aleksey Nikolskyi/Kremlin

Das Gesicht von Wladimir Putin war eine Studie. Neben ihm stand bei einer Pressekonferenz sein Gastgeber, der französische Präsident Emmanuel Macron, und bezichtigte Putin praktisch, hinter einer russischen Fake-News-Attacke gegen ihn im Wahlkampf zu stehen. "Sputnik und Russia Today haben sich nicht wie Vertreter der Medien verhalten, sondern wie Werkzeuge der Einflussnahme und der Propaganda – der falschen Propaganda", sagte Macron.

Russia Today (RT), das es auch in einer deutschen Ausgabe gibt, und Sputnik News sind russische Staatsmedien. Sie haben ein riesiges Budget, Stützpunkte auf der ganzen Welt, sind sehr professionell gemacht und haben die Aufgabe, mittels geschickt eingesetzter Desinformation und ausgesprochener Fake-News Verwirrung in der westlichen Welt zu stiften und Putins strategische Ziele – Trennung der EU von den USA und Zersplitterung der EU – zu betreiben. Im Fall von Macron versuchten sie, diesen als US-Spion und – im Spiel über die Bande gemeinsam mit dem Front National – als Homosexuellen darzustellen.

"Sie haben viel bessere Werkzeuge als der alte KGB in der Sowjetunion", sagt ein Vertreter der "East Stratcom Task Force" in Brüssel, einer Abteilung der EU-Kommission. "Der KGB musste sich in den Siebzigerjahren wirklich anstrengen, eine Desinformazija-Story in einem westlichen Medium zu platzieren. Heute zischen diese Storys wie der Blitz durch zig Länder."

Die East Stratcom Task Force versucht, etwas dagegen zu tun, mit bescheidenen Mitteln: einem Dutzend Mitarbeitern, einer eher altmodisch wirkenden Website (eeas.europa.eu) und einer trockenen Aufzählung von Desinformation (euvsdisinfo.eu).

Melden und falsifizieren

Die Stratcom wurde 2015 vom EU-Rat der Staatspräsidenten und Regierungschefs gegründet, mit dem ausdrücklichen Ziel, der russischen Propaganda durch Desinformation entgegenzuwirken, aber auch die Werte der EU in Ländern der östlichen Partnerschaft (Ukraine, Georgien, Moldau, Armenien, Aserbaidschan und Weißrussland) zu vermitteln.

Die stärkste Waffe der kleinen Abteilung ist vermutlich ein Netz von etwa 400 Institutionen und Personen, darunter etliche Medien, die russische Fake-News melden und zum Teil auch gleich falsifizieren.

Berühmtestes Beispiel: Es wurde in Litauen eine Meldung in die Welt gesetzt, wonach ein deutscher Bundeswehrsoldat (aus dem dortigen Nato-Kontingent) ein Mädchen aus einem Waisenhaus vergewaltigt habe. Damit sollte die Stationierung von Nato-Truppen zum Schutz vor russischen Übergriffen in den baltischen Staaten delegitimiert werden.

Örtliche News-Medien meldeten das sofort an das eigene Verteidigungsministerium, aber auch an Stratcom weiter, und schnell wurde festgestellt, dass die Nachricht über eine falsche Mailadresse verbreitet wurde und es die Informantin aus dem Waisenhaus gar nicht gab. Der Fake oder Hoax konnte gestoppt werden, ehe er sich gefährlich verbreitete.

Zielländer destabilisieren

Bei einer anderen "Vergewaltigungsgeschichte" gelang das nicht so schnell: Ein minderjähriges russlanddeutsches Mädchen sei in Berlin von Migranten missbraucht worden, streuten russische Sender. Hunderte Russlanddeutsche demonstrierten wütend. Aber das angeblich gekidnappte Mädchen Lisa hatte nur bei ihrem Freund übernachtet.

Putin will auf diese Weise die Zielländer destabilisieren, Misstrauen gegen die dortigen Eliten schüren, deren Glaubwürdigkeit – und damit auch Wahlen – beeinflussen. In den USA werden die Hinweise täglich dichter, dass russische Agenten Trumps Wahlkampf mit Desinformation über Hillary Clinton unterstützt haben, möglicherweise in Zusammenarbeit mit Trumps Team. Das Material wurde über die Plattform Wikileaks gespielt.

In Frankreich und den Niederlanden waren die Wahlkämpfe auch davon betroffen. Zuletzt sagte Putin, der bisher jede russische Verwicklung zurückgewiesen hatte, es wäre denkbar, dass "patriotische private Hacker" aus Russland in den US-Wahlkampf eingegriffen hätten. Für die deutsche Bundestagswahl im Herbst befürchtet der Bundesnachrichtendienst Ähnliches.

Über eigene Fakes stolpern

Gelegentlich scheint Putin selbst auf die eigenen Fake-News hereinzufallen. Vor einigen Monaten kritisierte er öffentlich den Freispruch eines Irakers, der einen zehnjährigen Buben in einem Wiener Bad vergewaltigt hatte. Das sei der politischen Korrektheit geschuldet. Doch es gab keinen Freispruch, sondern die Aufhebung und Neuverhandlung in nur einem Punkt. Die russischen Staatsmedien hatten aber breit über den angeblichen Freispruch berichtet.

Die Desinformationsmedien versuchen sich auch, durch gegenseitiges Zitieren Legitimität und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Sie finden auch Verständnis in westlichen News-Outlets wie "heise.de", wo man sich im Dezember 2016 über den Kampf gegen Fake-News lustig machte – unter dem Titel: "Panik in um ihren Einfluss fürchtende Politik und Medien".

Bei der Gründung von Stratcom waren nicht alle EU-Mitglieder glücklich. Viele wollen es sich nicht mit Russland verderben. Aber inzwischen entsteht mehr Problembewusstsein – und es gibt auch andere Initiativen gegen russische Fake-News.

Die tschechische Regierung gründete Anfang des Jahres ein "Zentrum gegen Terrorismus und hybride Gefahren" – das prompt vom Putin-freundlichen Staatspräsidenten Milos Zeman heftig angegriffen wurde. Der Milliardär und Unterstützer von Demokratiebewegungen George Soros, der vom Putin-freundlichen ungarischen Premier Viktor Orbán heftigst angefeindet wird, spendete 100.000 Euro für das deutsche Recherchebüro Correctiv, das generell gegen Fakes im Netz vorgeht.

Facebook startet jetzt mit privaten Medienpartnern einen Faktencheck und unterstützt auch die "News Integrity Initiative" des New Yorker Journalistikprofessors Jeff Jarvis. Das deutsche Innenministerium wälzt Pläne für ein Abwehrzentrum, und in vielen deutschen Medien werden Fact-Checker-Einheiten aufgebaut.

Die kleine Truppe von Stratcom weiß, dass sie einem Gegner mit gewaltigen Ressourcen gegenübersteht. Aber die Sensibilität sei in den westlichen Staaten gestiegen, sagt einer aus der Mannschaft: "Wir machen einfach weiter." (Hans Rauscher, 4.6.2017)