Keine Großkatze, aber Größeres hat Europa heute nicht mehr zu bieten: der Luchs.
Foto: APA/dpa/Patrick Pleul

Mit 120 Zentimeter Körperlänge und gut 20 Kilogramm Gewicht ist der Luchs heute die größte wildlebende Katzenart Europas – ein müder Abklatsch dessen, was einmal war. Noch in der Antike lebten in Südosteuropa Löwen, gegen Ende der letzen Kaltzeit hatte es weitere Spezies gegeben.

Mindestens drei große Katzenarten sollte es auf unserem Kontinent natürlicherweise noch geben, wenn nur ausreichend Beutetiere vorhanden wären: Das sagt Dawn Burham von der Wildlife Conservation Research Unit der Universität Oxford nach Berechnungen der Großtier-Artenvielfalt auf allen Kontinenten, heute und in prähistorischer Zeit. Ohne die Aussterbewellen im Zeitalter des Menschen gäbe es heute in nahezu jeder Region der Welt bis zu fünf Katzenarten, ergänzt ihr Kollege David Macdonald.

Verlorene Vielfalt

Als begnadete Jäger hatten sich Katzen auf alle Kontinente mit Ausnahme Australiens und der Antarktis ausgebreitet. Als der Homo sapiens später das gleiche tat, änderte sich das Spiel. Nicht allzulange nach der Ankunft des Menschen auf einer neuen Landmasse starb eine ganze Reihe Katzenarten – insbesondere die großgewachsenen – aus.

Sie werden dabei gemeinhin als indirekte Opfer betrachtet: Gemäß der Overkill-Hypothese überjagte der Mensch die Bestände an großen Pflanzenfressern, von denen sich auch die Katzen ernährt hatten. Als die Beutetiere nach und nach ausgerottet waren, starben schließlich auch die Großkatzen und andere Raubtiere aus.

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"Den" Säbelzahntiger gab es nicht: Mehrere verschiedene Katzenarten haben im Lauf der Evolution Säbelzähne entwickelt. Hier ein Fossil der bekanntesten Art, Smilodon fatalis.
Foto: REUTERS/AMNH/J. Tseng/

Ein Team britischer, dänischer und schwedischer Forscher hat nun versucht, diesen Vorgang zu quantifizieren. Gestützt auf die neue Datenbank FelidDiet, in der das Wissen um die Ernährungsweisen der bekannten Katzenarten gesammelt ist, korrelierten sie das Verschwinden prähistorischer Großkatzen mit dem von deren wichtigsten Beutetieren.

Untersucht wurden dabei der Höhlenlöwe, eine eiszeitliche europäische Unterart des heutigen Löwen, der noch größere Amerikanische Löwe, vier verschiedene Spezies von Säbelzahnkatzen und der Amerikanische Gepard, bei dem noch umstritten ist, ob er mit dem heutigen Geparden verwandt war. Alle sieben Spezies hatten während des Eiszeitalters die Rolle von Spitzenprädatoren eingenommen.

Der Grenzwert

Die Forscher stellten fest, dass nur 25 Prozent der pflanzenfressenden Spezies, auf die diese Räuber einst Jagd machten, heute noch leben. Die übrigen drei Viertel sind nach der Ankunft des Menschen ausgestorben. Anschließend übertrug das Team seine Vorgangsweise auf die Situation der verbleibenden Großkatzenarten.

Das Bild täuscht: Die gemütlichen Zeiten sind für den "König der Tiere" längst vorbei.
Foto: Dawn Burnham, WildCRU

Die Zoologen betrachteten erneut die Populationszahlen der jeweils wichtigsten Beutetiere und schrieben gegenwärtige Trends gewissermaßen fort: Pflanzenfresser, deren Bestände stark im Niedergang sind oder die sogar bereits am Rande des Aussterbens stehen, wurden aus der Gleichung entfernt, um zu sehen, was für die Großkatzen übrig bleiben würde.

Bei zwei Spezies waren die Zahlen beunruhigend: Den Löwen Afrikas blieben dann nur noch 39 Prozent der bisherigen Beutetiere übrig, beim südostasiatischen Nebelparder sogar nur 37 Prozent. Das ist nicht mehr allzuweit von dem Wert entfernt, der ihren eiszeitlichen Verwandten den Artentod brachte. Als nächste in der Reihe stünden laut den Forschern Tiger, Leopard und Gepard.

Der nur etwa 20 Kilogramm schwere Nebelparder ist die kleinste und wohl auch am wenigsten bekannte aller heutigen Großkatzenarten.
Foto: Andrew Hearn

Der an der Studie beteiligte Biologe Chris Sandom von der Universität Sussex betont, dass der Niedergang der Populationen großer Tiere kein Phänomen der Moderne ist. Er sieht die Gegenwart als Fortsetzung einer unglückseligen Entwicklung, die bereits in der Eiszeit begann, und sagt: "Wir müssen diesen Eiszeit-Trend ein für allemal umkehren." (jdo, 4. 6. 2017)