Der neue Star am Werbehimmel heißt Content Marketing. "Dabei machen Blogger und andere 'Experten' einfach ein bisschen Propaganda, wofür sie ja auch bezahlt werden, was aber dann doch nicht immer in den Beiträgen erwähnt wird", schrieb Wolf Lotter darüber im deutschen Magazin Brandeins. Unternehmen schaffen sich ihre eigene Wirklichkeit.

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Dass sich Unternehmen ihren zukünftigen Mitarbeitern als die tollsten, innovativsten und erfolgreichsten präsentieren – Bezahlung bestens, Kollegen genial, Büro wunderschön -, ist man schon gewöhnt. Natürlich würde es interessieren, was davon auch wirklich stimmt.

Theoretisch ist das seit ein paar Jahren möglich – in Form von Arbeitgeberbewertungsplattformen. Mitarbeiter und Bewerber können hier mit ihren Bewertungen die Diskrepanz zwischen Selbstdarstellung und Arbeitsrealität schließen. Allerdings zeigt bereits ein Blick in die Geschäftsmodelle, dass es doch nicht so einfach ist: Unternehmen bezahlen dafür, auf dem Portal präsent zu sein, wer bewerten will, kann dies gratis – und anonym – tun. Wie sich das in der Praxis niederschlägt, illustriert das Beispiel des Medienkonzerns Österreich auf Kununu: Fast alle Bewertungen sind sehr negativ, eine einzige Person spricht vom "Top-Arbeitgeber mit viel Gestaltungsfreiraum". Hinter negativen Bewertungen vermuten Unternehmen Kampagnen von Exmitarbeitern, äußerst positive Meldungen wirken auf User hingegen wie Schleichwerbung direkt aus der Personalabteilung. Authentizität geht anders.

Die neue Offenheit

Dass sich Arbeitgeber – wenn auch nur theoretisch – dem Urteil ihrer Mitarbeiter stellen, passt allerdings zum Gebot der Stunde für Unternehmen: Transparenz.

Die neue Offenheit berührt dabei viele Bereiche: von Mitarbeiterbefragungen und Fragestunden mit dem Vorstandsvorsitzenden ("Book Your Boss") über Personalpolitik mit anonymen Aufnahmeverfahren oder Assessment-Center bis zum selbstverständlichen Auftritt auf sämtlichen Kommunikationskanälen und dem Austausch dort mit Kunden. Türen und Ohren sind demonstrativ offen – allerdings sind da auch die Hintertüren, die meist erst bei genauerem Hinsehen entdeckt werden.

Beispiel Gehaltstransparenz: Hier würden sich laut Arbeiterkammer zwar die meisten Unternehmen an die gesetzliche Regelung halten, wonach in Stellenausschreibungen Angaben zur Bezahlung gemacht werden müssen. Doch meistens werde nur den gesetzlichen Erfordernissen genüge getan, indem das kollektivvertragliche Mindestgehalt angegeben und auf die Bereitschaft zu Überzahlung ohne nähere Angaben hingewiesen werde, kritisiert die Kammer.

Beispiel offener Umgang mit Mitarbeitern: Auch der Chef, der unter Angestellten im Großraumbüro sitzt, ist nicht zwangsläufig näher an den Wünschen und Sorgen dieser dran. "Wer die Gefühle der Mitarbeiter erreicht, hat gewonnen", sagt Andreas Kaufmann, Aufsichtsratsvorsitzender von Leica diese Woche beim Strategieforum in Wien, "aber der Dialog muss echt sein. Die Mitarbeiter spüren, ob es jemand ernst meint mit ihnen." Ist die Beziehung nicht echt, bleibt der Auftritt dennoch ein hilfreiches Instrument zum Employer-Branding (Werbung als attraktiver Arbeitgeber) für zukünftige Mitarbeiter.

Die neuen Werbemöglichkeiten

Beispiel Social-Media-Präsenz und Kundennähe: Nie war es so einfach, mit Unternehmensvertretern in Kontakt zu treten, Fragen zum Produkt zu stellen oder sich zu beschweren. Ein Vorteil für beide Seiten. Gleichzeitig bietet die Präsenz auf Facebook, Youtube und Co aber auch nie dagewesene Werbemöglichkeiten für Unternehmen und ihre Produkte. Statt darauf zu warten, dass Journalisten zugesandte Pressemitteilungen übernehmen, beschloss Coca-Cola beispielsweise ein eigenes Onlinemagazin zu starten – seit diesem Jahr gibt es Coca-Cola Journey auch in Österreich. Besucher der Seite erwartet ein Blick hinter die Kulissen beim Werbespotdreh mit David Alaba, Lauftipps von einem Leichtathletiktrainer oder ein Porträt über eine dreifache Mutter mit zwei Jobs, die auch noch Vorstand eines Fußballklubs ist. Was das mit dem Getränk zu tun hat? Ihr Verein ist beim Bundesfinale des Coca-Cola-Cups dabei, erfährt man im Beitrag.

Viele Unternehmen tun es mittlerweile Coca-Cola gleich und verlassen sich für die Produktion von Inhalten nicht nur auf eine Reihe von Mitarbeitern, sondern auch auf bekannte Testimonials wie Sportler, beliebte Blogger oder andere bekannte Personen.

Propaganda oder Marketing?

Dass diese Strategie mehr mit Marketing als mit Offenheit zu tun hat, wissen die meisten Konsumenten. Eine Stanford-Studie zeigt allerdings, dass 80 Prozent der Kinder und Jugendlichen nicht zwischen Nachricht und Werbung unterscheiden können. Strategien wie jene von Coca-Cola sind Paradebeispiele des neuen Stars am Werbehimmel, dem sogenannten Content-Marketing. Der Journalist Wolf Lotter bezeichnete dies im Wirtschaftsmagazin Brandeins schlichtweg als "Backdoor-Marketing": "Dabei machen Blogger und andere 'Experten' einfach ein bisschen Propaganda, wofür sie ja auch bezahlt werden, was aber dann doch nicht immer in den Beiträgen erwähnt wird." Unternehmen schaffen sich die eigene Wirklichkeit.

Noch drastischer formulierte es OMV-Kommunikationschef Johannes Vetter im STANDARD: Diese Form von Marketing habe die Kraft, den Unternehmen die Moral unter den Füßen wegzuziehen. Gefördert würde unter anderem die unredliche Vermischung von Anzeigenverkauf und redaktioneller Arbeit. Gefragt sei laut Vetter vor allem kritischer Journalismus, um Glaubwürdigkeit sicherzustellen. Ein kritischer Blick und Selbstverantwortung wären freilich auch für Arbeitnehmer und Konsumenten wichtige Instrumente, wollen sie hinter die eigenen Wirklichkeiten blicken. (lhag, 3.6.2017)