Künstler Joan Miró in der Stadtturmgalerie Gmünd: seine "Grande Composition", eine Farblithografie aus dem Jahre 1974.


Foto: Dubravko Baumgartner

Gmünd – Joan Miró wäre, wenn er dem Wunsch seiner katalanischen Eltern entsprochen hätte, ein katastrophaler Buchhalter geworden. Kein Finanzamt hätte den Funken einer Chance gehabt, aus seinen Bilanzen klug zu werden. Aber zum Glück für die Finanzämter dieser Welt und, was selten gemeinsam vorkommt, auch zum Glück der Kunst schlug er einen anderen Weg ein.

Zwar bis als 90-Jähriger in Anzug und Krawatte in seinem Atelier arbeitend, so gesehen den Eltern kleidungsmäßig gehorchend, schuf er mit seinen tausenden Druckgrafiken, die er nicht "Bilder", sondern "Bild-Gedichte" nannte, das wohl hermetischste malerische OEuvre des 20. Jahrhunderts. Man kann seine Eidechsen mit den goldenen Federn einfach noch nicht zu Ende denken. Und es kommt einem immer wieder Dieter Wellershoff in den Sinn, der die Poesie als einen Mehrwert definiert hat, der erst verfliegt, wenn er durchschaut wird. In der Sommerausstellung im Turm der nördlichsten Stadt in den Südalpen, dem Kärntner Gmünd, kann man heuer primärfarbenfroh versuchen, den Mehrwert der poetischen Metamorphosen des eigenwilligen Spaniers zu durchschauen. Man kommt dabei vermutlich an kein Ende, aber an sehr viele Anfänge.

Ein kleiner Teil der Formfindungen speist sich aus der Wirklichkeit. Daneben queren die Blätter ganz andere Linien, mit wundersamer Leichtigkeit die symbolistischen Konturen der sogenannten "primitiven Malerei", aber auch eine surrealistische Freude an der Vermengung dessen, was noch nie zusammen gedacht worden ist, an den heimlichen Verwandtschaften, die der Struktur unseres Hirns entspringen, an der Naivität und am Märchenhaften.

All das kann man schon in der Vorlage für das Coverbild des (erstmalig vorhandenen) Ausstellungskataloges entdecken: ein weibliches Wesen mit Brüsten und Vulva, menschlich im Schwung der Taille, im aufgesperrten Maul mit den reißenden Zähnen ein Tier unter dem gestirnten Himmel. Ein unendliches Deutebild. Darum ging es diesem Künstler ja. Es wäre sicher ein Missverständnis, ihm Eskapismus vorzuwerfen, weil er weder zum Spanischen Bürgerkrieg noch zur Franco-Diktatur oder zu irgendeinem sonstigen politischen Thema des 20. Jahrhunderts explizit Stellung bezog. Die Stellungnahme erfolgte in der Aufspürung der widersprüchlichen Befasstheit des Menschen, in der Erinnerung an seine Exposition in einem Universum, in dem er gegen die Bedrohung, auch durch sich selbst, unter einem grandiosen Firmament sich immer wieder nach seinen Urbildern sehnt.

Bienen und Vögel

Rund 60 der Druckgrafiken Mirós, größtenteils Lithografien, alles Leihgaben des Bamberger Sammlers Richard H. Mayer, sind auf die drei Etagen des Stadtturms verteilt. Die oberste Etage gilt den Tierdarstellungen, den träumerischen Bienen, den Vögeln, Mirós eigener Zoologie. Die mittlere Etage vereint Beispiele von Hommagen auf Freundinnen und Freunde, oft kalligrafisch in der Darstellung gewidmet, eine sogar sich selbst, alle auch farblich als Psychogramme lesbar. Die erste Etage bietet rund um die helllichte Nacht von 1953 eine Einführung in die von Sonne, Mond und Sternen, tier- und menschenartigen Figurationen geprägte Bildwelt des Künstlers. Erwähnenswert wäre noch, wie sich die diesjährige Hauptausstellung in den Charakter des kunstverschriebenen Städtchens fügt.

Auf der Autobahn von Salzburg kommend, wirkt ein Vogel des heimischen Bildhauers Fritz Russ, auf einem Brückengeländer hockend, wie ein Werbeobjekt für die Ausstellung. Und wer dann noch soweit auf das Angebot der Stadt eingehen will, sollte sich auch in die Alte Burg wagen, wo Valentin Oman seit 24. Mai ebenfalls den ganzen Sommer lang seine heilig-schönen gemalten, abgeschabten und wieder gemalten Figuren-Stelen zeigt. (Michael Cerha, 1.6.2017)