Jean-Claude Juncker muss sich für seine Politik als luxemburgischer Finanzminister rechtfertigen.

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Brüssel/Wien – Seine Vergangenheit holt ihn wieder einmal ein. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird sich am Dienstagnachmittag dem Panama-Untersuchungsausschuss des EU-Parlaments stellen. Das Gremium versucht den Skandal um Steuerhinterziehung über Briefkastenfirmen aufzuklären, der 2016 ins Rollen kam.

Juncker ist für die Parlamentarier weniger als amtierender Kommissionschef interessant – die meisten Fragen werden sich an ihn als ehemaligen Regierungschef und Finanzminister Luxemburgs richten.

Luxemburg galt unter Experten für Steuerpolitik wie Gabriel Zucman als eine der größten Steueroasen weltweit. Das Land habe nicht nur mit seinem Bankgeheimnis ausländisches Schwarzgeld angezogen. Luxemburg habe auch jahrelang eine engere Zusammenarbeit in der EU in Steuerfragen verhindert, sagt Zucman.

Genau in diesem Zusammenhang attackieren derzeit auch die europäischen Grünen Juncker: Der deutsche Abgeordnete Sven Giegold hat einen Bericht seiner Fraktion vorgestellt, der zu dem Ergebnis kommt, dass Juncker als luxemburgischer Finanzminister zwischen 1989 und 2009 direkte Schützenhilfe für Steuerhinterzieher geleistet hat. Konkret geht es um die Einführung der Zinsrichtlinie. Diese ist in der EU 2005 in Kraft getreten und sollte eine Waffe gegen Steuerbetrug werden. Das Konzept dahinter war simpel: Die EU-Staaten sollten untereinander Informationen über Zinseinkünfte von Bürgern austauschen. Wenn ein Deutscher zum Beispiel in Frankreich ein Konto eröffnet, werden Zinszahlungen darauf automatisch an Steuerbehörden in Deutschland gemeldet. Damit sollte volle Steuertransparenz gewährleistet werden.

Österreich blockiert mit

Luxemburg, Österreich und lange Zeit auch Belgien nutzten aber eine Ausnahmeregelung: Statt Zinseinkünfte zu melden, zogen sie eine Steuer von den Zinserträgen ab und überwiesen diese an das Herkunftsland des Kontoinhabers. Nicht gemeldet wurde der Name des betroffenen Bürgers. Die deutschen Grünen haben nun Verhandlungsprotokolle aus Sitzungen der EU-Finanzminister ausgewertet, in denen ab dem Jahr 2000 über die Zinsrichtlinie verhandelt wurde. Darin zu sehen ist, dass vor allem Luxemburg darauf drängte, die Quellensteuer so niedrig wie möglich zu halten – Juncker forderte offenbar nur eine zehnprozentige Steuer. Je niedriger die Steuer ist, desto günstiger kommen Inhaber von Schwarzgeldkonten weg. Die Luxemburger setzten sich letztlich aber nicht durch – die Quellensteuer wurde zunächst mit 15 Prozent festgelegt.

Die Grünen weisen aber noch auf einen heiklen Punkt hin: Die Zinsrichtlinie galt in ihrer ursprünglichen Form nicht zuletzt auf Druck Luxemburgs nur für natürliche Personen, die in der EU steuerpflichtig waren, nicht für Trusts, Stiftungen und sonstige juristische Personen. In der Praxis wurden daher oft nichteuropäische Gesellschaften zwischengeschaltet. Beispiel: Ein deutscher Bürger verfügt über ein Konto in Luxemburg. Ab 2005 wäre auf die Zinsen eine Quellensteuer angefallen, die Deutschland erhalten hätte. Um das zu umgehen, wurden außereuropäische Gesellschaften zwischengeschaltet. Als Kontoinhaber schien eine in Panama registrierte Gesellschaft oder ein Unternehmen von den Cayman Islands auf.

Die Panama-Connection

An dieser Stelle knüpfen die Grünen auch an die Panama-Papers an: Die zentrale Rolle in diesen Unterlagen spielt die Anwaltskanzlei Mossack-Fonseca. Sie richtete weltweit tausende Briefkastenfirmen ein. Nun kritisieren die Grünen, dass die Zahl der von Mossack-Fonseca in Luxemburg gegründeten Briefkastenfirmen ausgerechnet vor dem Jahr 2005, also vor Einführung der Zinsrichtlinie, explodiert ist. Der Verdacht: Die Kanzlei half mit ihren Aktivitäten dabei, die auf Drängen der Luxemburger geschwächte Zinsrichtlinie weiter zu umgehen.

Sicher ist jedenfalls, dass die diskreten Möglichkeiten in Luxemburg Sparer aus Europa angezogen haben. Demnach sind zum Beispiel die Spareinlagen deutscher Bürger in Luxemburg zwischen 2000 und 2007 von 100 auf über 260 Milliarden US-Dollar (236 Milliarden Euro) gestiegen.

Sicher ist auch, dass neben Luxemburg Österreich lange Zeit zu den größten Verteidigern des Bankgeheimnisses in Europa gezählt hat. Neben Jean-Claude Juncker in Brüssel über die Zinsrichtlinie verhandelt hat der damalige österreichische Finanzminister Karl-Heinz Grasser.

Angst vor den Schweizern

Erwähnen sollte man allerdings, dass die Luxemburger und Österreicher ein schwer zu entkräftendes Argument zur Verteidigung des Bankgeheimnisses hatten: So würde es nichts bringen, in der EU auf Transparenz zu setzen, wenn die Schweiz ihr Bankgeheimnis behält. Die Folge wäre nur gewesen, dass die Schwarzgelder aus Luxemburg und Österreich in die Schweiz abfließen. Das österreichische Finanzministerium argumentiert etwa, man sei bereit zur Transparenz, wenn wirklich alle mitziehen. Dem Vernehmen nach wurde diese Position auch von der Oesterreichischen Nationalbank und dem Raiffeisensektor stark vertreten. Die Schweiz schaffte das Bankgeheimnis zunächst nicht ab, sondern beugte sich dem Druck der EU und wandte das System der Quellenbesteuerung mit an.

Die alte Zinsrichtlinie ist übrigens heute Geschichte, in der EU wurde inzwischen eine erweiterte Form des automatischen Informationsaustauschs gestartet. Auch Österreich und Luxemburg haben dem Druck nachgegeben und beginnen 2017 und 2018 mit der Weiterleitung von Daten – ebenso wie die Schweiz. (András Szigetvari, 30.5.2017)