Der Oberösterreicher spricht Klartext: "Es kann so nicht weitergehen. Wir Sportler sehen uns immer mehr Gefahr und Aggression im Straßenverkehr ausgesetzt ..."

Foto: Trek-Segafredo

Gogl beim Trainieren. Bei vielen Ausfahrten erlebt er brenzlige Situationen. Er fordert daher "mehr gegenseitige Rücksichtnahme".

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Gogl (rechts) bei der 75. Ausgabe von Paris–Nizza im März an der Seite von Alberto Contador.

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Wien – Mit derartigen Wogen hatte Michael Gogl nicht gerechnet, als er in einem Posting auf seiner Facebook-Seite mehr gegenseitigen Respekt im Straßenverkehr einforderte. Der oberösterreichische Radprofi musste mitansehen, wie ein regelrechter Shitstorm entbrannte.

Anlass für Gogls Initiative waren die Todesfälle von Ex-MotoGP-Weltmeister Nicky Hayden, Ex-Giro-Sieger Michele Scarponi und der Triathletin Julia Viellehner, die allesamt in den letzten Wochen mit Fahrrädern bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen.

Also schrieb der Fahrer vom Team Trek-Segafredo: "Tag für Tag setze ich mich aufs Rad, um meine sportlichen Ziele zu verfolgen. Ich wende mich heute mit einer persönlichen Bitte an euch. Es kann so nicht weitergehen. Wir Sportler sehen uns immer mehr Gefahr und Aggression im Straßenverkehr ausgesetzt."

"Es ist ein totaler Tumult herausgekommen. Autofahrer legten sich mit Radfahrern an und umgekehrt. Das alles hat mit normalem Menschenverstand nichts mehr zu tun", sagt Gogl dem STANDARD.

Mit seinem neutral formulierten Eintrag habe er vielen Leuten aus der Seele gesprochen, aber es fühlten sich wohl auch viele unverständlicherweise angegriffen.

Unglaublich findet der 23-Jährige, was manche Leute von sich geben: "Ein Autofahrer wünscht einem anderen, dass er einen Radfahrer erwischt, damit weniger unterwegs sind. Das kann ja niemand ernst meinen."

Gogl erinnert sich an einen Unfall mit einem Taxi auf Mallorca vor ein paar Jahren, bei dem er glimpflich davonkam, sein Helm jedoch in 22 Teile zerbrach. "Ich weiß nicht, wie es ausgegangen wäre, wenn ich keinen Helm getragen hätte."

Brenzlige Situationen

Zu brenzligen Situationen kommt es in Gogls Leben bei vielen Ausfahrten, zuletzt beim Kleingruppen-Höhentrainingslager auf Teneriffa. "Einmal wurde ich von einem Auto überholt, das zeitgleich von einem SUV überholt wurde. Es war kein Platz mehr, aber es ist sich Gott sei Dank ausgegangen. Er hat sich entschuldigt, er hat mich übersehen, wie er später gestand, als ich ihn bei einem Aussichtspunkt, wo er anhielt, zur Rede stellte."

Solche und ähnliche Vorfälle sind keine Seltenheit. "Leider kommt es immer öfter vor, dass Autofahrer aggressiv reagieren oder dass man Situationen erlebt, in denen man Glück benötigt." Zu Hause in Oberösterreich trainiert der Gmundner viel auf Nebenstraßen und Güterwegen. "Weil es mir mehr taugt und ruhiger ist vom Verkehr. Da kann man gefährliche Situationen vermeiden. Auf Trainingslagern suchen wir nach Strecken, wo wir wenig Verkehr haben." So lasse sich unnötiger Stress vermeiden, und man könne sich voll auf das Training konzentrieren.

Egoismus im Aufwind

Das Problem beginnt für Gogl damit, dass das Thema sehr präsent ist und sich Autofahrer und Radfahrer gegenseitig provozieren. "Der Egoismus wird nicht weniger, jeder will am schnellsten von A nach B kommen, jeder muss rechtzeitig zur Arbeit kommen, will abends zur Jause zu Hause sein." Auch die Ablenkung sei ein großes Thema, "weil jeder immer wieder mal auf das Handy schaut. Das alles sind Dinge, warum die Menschen gestresst im Auto sitzen."

Was also tun? Profis wie Gogl setzen im Training, das ja praktisch nur tagsüber stattfindet, auf starke, arhythmisch blinkende Rücklichter. "Weil man einfach besser und früher gesehen wird." Außerdem brauche es mehr gegenseitige Rücksichtnahme, "weil die Radfahrer natürlich auch weiterhin auf den Straßen unterwegs sein werden und als Verkehrsteilnehmer nicht weniger, sondern eher mehr werden, nicht zuletzt, weil E-Bikes boomen."

"Phänomenaler Pöstlberger"

Derartige kräfteschonende Antriebe benötigen wackere Pedalritter wie Gogl natürlich nicht, ein zusätzlicher Motivationsschub kann aber nie schaden. Und einen solchen lieferte der am Sonntag zu Ende gegangene Giro d'Italia, bei dem ein Österreicher Geschichte schrieb. "Was mein früherer Teamkollege und Freund Lukas Pöstlberger da mit dem Etappensieg fabriziert hat, war phänomenal und unglaublich. Das pusht auch uns junge Österreicher. Wir sehen, dass was möglich ist. Für solche Erfolge setzt man sich täglich auf das Rad."

Gogl ist – auch wenn auf Wikipedia "Bergfahrer" steht – kein Kletterspezialist. "Bergfahren kann man oder nicht. Ich hab's probiert, und ich kann es nicht." Er ist Klassikerspezialist und hat im Frühjahr mit Platz acht beim Amstel Gold Race in den Niederlanden aufgezeigt. "Immer, wenn es in den Seitenwind geht oder auf hügeligen Etappen etwas Spektakuläres passiert, bin ich normalerweise sofort zur Stelle."

Mit Contador zur Tour de France?

Derartige Qualitäten sollten dem Teamkollegen des Vorarlbergers Matthias Brändle auch den Weg zur Tour de France ebnen. An der Seite der Stars Alberto Contador und John Degenkolb will Gogl beim Auftakt am 1. Juli in Düsseldorf am Start stehen. Er rechnet sich "relativ gute Chancen aus, wenn alles nach Plan läuft". Über den zweifachen spanischen Tour-de-France-Gewinner Contador (2007, 2009) kann er nur Positives berichten. "Er ist ein sympathischer, netter Kerl, ein super Teamkollege, ohne Starallüren. Er verlässt sich auf den Flach- und Hügeletappen auf mich."

Das ganz große Saisonziel ist aber die Weltmeisterschaft im norwegischen Bergen. "Die Strecke sollte mir vom Profil entgegenkommen. Es ist ein Klassikerkurs." Zunächst geht es aber zum Critérium du Dauphiné, einer einwöchigen Rundfahrt in Frankreich ab Sonntag, die als wichtiger Gradmesser für die Form hinsichtlich der Tour de France gilt. In einem danach folgenden weiteren Höhentrainingslager in Osttirol und bei der Staatsmeisterschaft zum Darüberstreuen will er fit für Frankreich werden. Den Grundstein dafür legte er dieser Tage auf Teneriffa. "Die Qualität des Trainings war irrsinnig gut, es ist brutal super gelaufen, ich bin auf Kurs." (Thomas Hirner, 31.5.2017)