STANDARD: Im anlaufenden Nationalratswahlkampf beklagen jetzt schon zwei Kanzlerkandidaten, Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ), die fehlende Integration muslimischer Asylwerber und Migranten. Was wollen Sie dem entgegenhalten?

Olgun: Wenn wir konstruktive Kritik aus der Politik bekommen, dann nehmen wir das auch zur Kenntnis. Aber wir hoffen auch, dass die Muslime nun im Wahlkampf nicht instrumentalisiert werden, indem auf unserem Rücken Politik gemacht wird. Die Instrumentalisierung unserer Religion haben wir leider in der Vergangenheit immer wieder gespürt.

Ibrahim Olgun räumt Versäumnisse beim Dialog zwischen der muslimischen Community und der Mehrheitsgesellschaft ein: "Viele Muslime wissen nicht, wie die Gebräuche und Traditionen in Österreich sind." Nachsatz: "Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt."
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STANDARD: Wo sehen Sie selbst Ihre Glaubensgemeinschaft bei der Integration gefordert?

Olgun: Uns ist bewusst, dass es bei einem Teil der Muslime noch großen Bedarf an Integration gibt – etwa beim Erlernen der deutschen Sprache, aber auch bei der Anpassung an die Gesellschaft. Denn viele Muslime wissen nicht, wie die Gebräuche und Traditionen in Österreich sind. Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt – und dadurch kommt es oft zu Vorurteilen und Missverständnissen.

STANDARD: Also leben aus Ihrer Sicht mitunter Menschen seit Jahren im Land, die wenig Ahnung von der hiesigen Gesellschaft haben. Woran liegt dieses Desinteresse?

Olgun: Ja, auch ich denke, dass zu sehr in der eigenen Gruppe gelebt wird. Man lebt zurückgezogen im eigenen Umfeld. Aber auch bei den Andersgläubigen bemerke ich diese Zurückgezogenheit. Ich hoffe, dass Menschen künftig mehr aufeinander zugehen und miteinander ins Gespräch kommen.

STANDARD: An welche hiesigen Gebräuche und Traditionen sollen sich Muslime "anpassen", wie Sie es genannt haben?

Olgun: In Österreich ist zum Beispiel der Sonntag ein wichtiger Ruhetag, an dem kein Lärm gemacht werden und man die Bewohner, wo man lebt, nicht stören sollte. Aber ein Teil unserer Muslime ist sich nicht bewusst, dass das in Österreich eine wichtige Verhaltensregel ist.

STANDARD: Registrieren Sie eine Zunahme der Islamfeindlichkeit?

Olgun: Ja. Wir bemerken eine starke Zunahme von Islamfeindlichkeit in Österreich. Vor einem Monat hat es hier bei uns in der IGGÖ Beschmierungen wie mittlerweile auch an Moscheen gegeben. Da hätten wir uns von offizieller Seite schon gewünscht, dass sie gemeinsam mit uns solche Taten verurteilen. Eine Parole lautete: "Stoppt die Islamisierung!" Die Muslime missionieren doch nicht andere Menschen. Wir sind nur da, um die religiösen Bedürfnisse der Muslime zu befriedigen.

STANDARD: Immerhin hat Bundespräsident Alexander Van der Bellen im Zuge seiner umstrittenen Aussage zum Kopftuch die steigende Islamfeindlichkeit verurteilt – auch wenn er seine angedachte Solidaritätsaktion nicht mehr ganz ernst gemeint haben will.

Olgun: Stimmt, deswegen haben wir seine mutige Aussage auch begrüßt – und schon verstanden, was er damit gemeint hat. Wir würden es schätzen, wenn die Regierungsspitzen und andere Politiker auch die Übergriffe an Muslime betonen würden. Denn die Statistik zeigt, dass etwa gegenüber Frauen, die ein Kopftuch tragen, die Belästigungen und Übergriffe steigen. Wir haben aber noch nie gehört, dass dafür ein Täter eine Strafe bekommen hat – deswegen plädieren wir hier dafür, dass die Strafgesetze verschärft werden.

STANDARD: Vor kurzem hat Ihre Glaubensgemeinschaft selbst für Aufregung mit einer Fatwa gesorgt, die gläubigen Musliminnen ausdrücklich das Tragen eines Kopftuchs nahelegt. Nach heftiger Kritik wollte sich Ihr Beratungsrat noch einmal damit befassen. Wie lautet das Ergebnis?

Olgun: Unser Beratungsrat hat hier nur die islamisch-theologische Sicht wiedergegeben: dass das Kopftuch in unserer Religion seit 1500 Jahren ein religiöses Gebot und damit Teil unserer Glaubenspraxis ist. Das ist aber kein Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Frau. Denn unsere Religion darf die Menschen zu nichts zwingen, der Mensch muss das mit Gott selbst vereinbaren. Der Beratungsrat hat dann noch einmal getagt und war sich einig, dass solche Themen künftig sensibler präsentiert werden sollten.

"Wir hoffen, dass die Politik nicht weiter in unsere Vorschriften eingreift – etwa mit einem generellen Kopftuchverbot", sagt Olgun.

STANDARD: Warum macht man sich so viele Gedanken darüber, wie sich die Frauen bedecken sollen – und hört nichts über Bekleidungsvorschriften für Männer?

Olgun: Weil nur die Bedeckung der Frau aktuell debattiert wurde. Für Männer gibt es auch Verpflichtungen in unserer Religion – etwa, dass sie nicht mit kurzen Hosen in der Öffentlichkeit herumlaufen sollen. Aber da halten sich einige nicht daran. Der Beratungsrat wird in den nächsten Sitzungen auch andere Themen bearbeiten.

STANDARD: Pädagogen beklagen zudem, dass in Schulen auf junge Frauen mitunter sozialer Druck von gleichaltrigen Burschen ausgeübt wird, Kopftuch zu tragen, weil sie sonst nicht als sittsam gelten. Ist Ihnen dieses Phänomen bekannt?

Olgun: Wir kennen das Problem, dass einige Jugendliche sich so verhalten, was aber aus islamischer Sicht nicht richtig ist. Es gibt leider solche Fälle, man sollte es aber nicht verallgemeinern. Darum bringe ich das bei meinen Predigten in Moscheen zur Sprache: Es ist nicht in Ordnung, wenn Muslime andere abwerten oder zur Rechenschaft ziehen. Am Ende weiß nur Gott, wer ein guter Muslim ist. Auf der anderen Seite werden fastende muslimische Jugendliche vom Schulpersonal dazu gezwungen, ihr Fasten abzubrechen, was gegen die Menschenrechte und die Religionsfreiheit verstößt. Auch Kopftuch tragende Mädchen werden in einigen Schulen dazu gezwungen, das Tuch abzulegen. Diese Phänomene sollten auch debattiert werden.

STANDARD: Ab Oktober soll in der Öffentlichkeit ein Burkaverbot gelten, bei Zuwiderhandeln drohen Strafen bis zu 150 Euro. Haben Sie damit ein Problem?

Olgun: Durchaus. Zwar hat unser Beratungsrat die hiesigen Umstände berücksichtigt und vom Tragen einer Burka abgeraten, aber dennoch erachten wir solche Verbote als destruktiv und kritisieren es. Denn derzeit leben vielleicht maximal hundert Musliminnen in Österreich, die eine Burka tragen. Also denken wir, dass es ein Gesetz ist, welches das Zusammenleben nicht fördert.

STANDARD: Befürchten Sie, dass weitere Verbote drohen?

Olgun: Wir befürchten das – und wir hoffen, dass die Politik nicht weiter in unsere Glaubensvorschriften eingreift – etwa mit einem generellen Kopftuchverbot.

STANDARD: Die Regierungsparteien verbieten auch das Verteilen salafistischer Schriften. Was halten Sie von diesen Koranausgaben?

Olgun: Aus meiner Sicht soll der Koran nicht auf der Straße verteilt werden – weil er mitunter in der nächsten Mülltonne landet, und das ist eine Respektlosigkeit gegenüber unserer Heiligen Schrift. Deshalb rate ich von Verteilaktionen ab – und möchte auch nicht, dass ohne Genehmigung der IGGÖ der Koran verteilt wird. Ungerecht finde ich, dass das nur für den Koran gilt, wo auch christliche Gruppen die Bibel verteilen. Auch dieses Verbot sehen wir einseitig und kritisieren es.

STANDARD: Kommen Sie genug an junge Muslime heran, um den aufkeimenden Islamismus hintanzuhalten?

Olgun: Durch den Unterricht und in den Moscheen erreichen wir viele junge Menschen. Aber natürlich kommen wir nicht an alle heran. Deswegen arbeiten wir jetzt an einem Kriterienkatalog für das Profil für die 250 bis 300 Imame hierzulande, der ab Herbst gelten soll. Darin soll auch festgehalten werden, dass sie neben der Moscheearbeit auch hinausgehen sollen, um die Jugendlichen in den Parks zu erreichen.

STANDARD: Wie sehr ist der "Islamische Staat" ein Thema für die jungen Leute?

Olgun: Wir bekommen dazu viele Fragen von jungen Muslimen. Da leisten unsere Imame enorme Aufklärungsarbeit, dass die Gräueltaten vom IS nicht mit unserer Religion in Zusammenhang gebracht werden können. Unsere Religion rechtfertigt niemals Krieg und Terror. Viele Menschen wissen ja gar nicht, was der eigentliche Jihad ist: die Anstrengungen gegenüber seinen Ausschweifungen, das eigene Ego und die bösen Gedanken.

"Wie soll die ganze Arbeit ohne ausreichende finanzielle Mittel gehen?" – der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft ärgert sich über das neue Islamgesetz.

STANDARD: Derzeit scheinen sich SPÖ und ÖVP nur in einem einig zu sein: dass bei einem türkischen Referendum zur Wiedereinführung der Todesstrafe hierzulande eine Abstimmung verboten werden soll. Aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Olgun: Darauf möchte ich nicht eingehen, weil wir uns in die Parteipolitik nicht einmischen. Aber eines kann ich sagen: Ich bin gegen die Todesstrafe!

STANDARD: Dann müssten Sie für ein Nein – und auch gegen ein solches Referendum eintreten?

Olgun: Wir wollen die Politik anderer Staaten nicht nach Österreich tragen, denn das spaltet die Gesellschaft. Wir sind eine religiöse Organisation, daher können wir nur sagen, was islamisch richtig ist – oder eben nicht. Wir sehen, dass das Thema ein parteipolitisches ist, und tragen Politik in unsere Moscheen nicht hinein.

STANDARD: Im Zuge des Erdogan-Referendums hat sich unter anderem gezeigt, dass in Österreich offenbar viele Doppelstaatsbürger leben. Trauen Sie sich eine Schätzung zu?

Olgun: Nein. Wir haben überhaupt keine Infos diesbezüglich. Aber wir erklären unseren Mitgliedern immer: Egal, wo man lebt, man muss sich an die Gesetze halten. Wenn es in Österreich also nicht legal ist, eine Doppelstaatsbürgerschaft zu besitzen, dann sollten unsere Mitglieder sich an die Gesetze des Landes halten.

STANDARD: Mit dem neuen Islamgesetz wurde fixiert, dass es keine Finanzierungen mehr für islamische Vereine aus dem Ausland geben darf. Wie leben Sie damit?

Olgun: Natürlich spüren wir das. Bei keinem anderen Religionsgesetz, nur bei Muslimen, wurde das verlangt – und das ist ungerecht. Auf der einen Seite wird erwartet, dass wir viel für die Muslime und damit für die Integration und Deradikalisierung tun, auf der anderen Seite trennt man uns von finanziellen Mitteln. Wie soll die ganze Arbeit ohne ausreichende finanzielle Mittel gehen?

STANDARD: Dass die Republik nicht im Sinn haben kann, dass etwa aus Saudi-Arabien, wo die Scharia gilt, viel Geld in hiesige Moscheen fließt, leuchtet Ihnen schon ein?

Olgun: Aus den islamischen Ländern wie Saudi-Arabien fließt in unsere Moscheen sowieso kein Cent hinein. Wenn sich etwa extremistische Gruppen finanzieren möchten, machen sie das sowieso illegal. Wir glauben daher, dass dieses Gesetz die Falschen getroffen hat. Dazu hat der IS vor einigen Monaten unsere Glaubensgemeinschaft als unislamische Gemeinschaft bezeichnet und drei unserer wichtigsten Vertreter zu vom Glauben Abgefallene erklärt und sie bedroht. Warum unsere Gemeinschaft und sie zum Feindbild erklärt wurden, auch darüber sollte man einmal nachdenken. (Peter Mayr, Nina Weißensteiner, 29.5.2017)