Panische Angst vor Zitronen: Von dieser eher exotischen Krankheit haben die Österreicher in den vergangenen Tagen aus wunderlichem Anlass erfahren. So Sie es nicht ohnehin in der Zeitung gelesen oder in Willkommen Österreich gesehen haben sollten: Ein an einer Zitronenphobie laborierender Arbeiter wurde von einem Kollegen so lange mit Zitronenschlürfgeräuschen provoziert ("Waaßt du, an wos I grad saug, Koarl?"), bis er dem Schlürfer schließlich in unkontrollierbarer Rage ein Messer in den Oberkörper rammte.

Keine angenehme Geschichte, aber eine interessante, weil sie den unbestreitbaren Einfluss der Furcht, der "gewurzelten Ungestalten" (Hölderlin), auf das Menschengeschlecht demonstriert. Dazu eine kleine Reflexion. Zur Vielzahl der Phobien, von denen unsere Gattung geplagt wird, zählen die Frigophobie (krankhafte Angst vor kalten Dingen), Dentophobie (Angst vor Zahnbehandlungen), Philophobie (Angst, sich zu verlieben), Coulrophobie (Angst vor Clowns), Bufonophobie (Angst vor Kröten), Kicklophobie (Angst vor Herbert Kickl), Hexakosioihexekontahexaphobie (Angst vor der Zahl 666), Xylophobie (Angst vor hölzernen Objekten oder Wäldern), Hippopotomonstrosesquippedaliophobie (Angst vor langen Wörtern) oder die Columnophobie (Angst vor Kolumnen).

Die pathologische Angst vor Zitronen ist allerdings so selten, dass die Wissenschaft noch nicht einmal einen Namen für sie ausgeheckt hat. Das gilt auch für die Angst vor anderen Südfrüchten wie Ananas, Sternfrucht, Mango, Papaya, Litschi, Kaki, Kaktusfeige oder Durian, wohl deshalb, weil lediglich die Angst vor einer Durian, deren Gestank einen Ochsen umwerfen könnte, einen realen Kern hat.

Die Zitrone hingegen ist ein zwar säuerliches, aber durch und durch sanftes, bescheidenes und friedvolles Geschöpf. Niemandem tut sie etwas zuleide, und kein Mensch, der ihrer je ansichtig geworden wäre, hätte rot, sondern allenfalls gelb gesehen. Was dem armen Arbeiter widerfahren sein muss, dass er sich eine panische Angst vor Zitronen zuzog, bleibt im Dunkeln. Wahrscheinlich handelt es sich um den historisch äußerst raren Fall einer tollwütigen Zitrone, die ihm in seiner Jugend ins Bein biss.

Damit verabschiedet sich der Krisenkolumnist auf einige Wochen. Ängstigen Sie sich inzwischen nicht zu sehr, haben Sie es schön und bis bald. (Christoph Winder, Album, 26.5.2017)