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Am Auftritt Barack Obamas mit Angela Merkel hatte es vorab Kritik gegeben. Beim Kirchentag waren vor allem Fans des Ex-Präsidenten anwesend.

Foto: AP / Gero Breoler

Was hat Angela Merkel für ein Glück! Die unfreundliche Reportage über den Mann zu ihrer Linken liegt schon vier Tage zurück, und kaum einer hat sie gelesen hier in Berlin. Die Süddeutsche Zeitung, Erscheinungsort München, hat am Wochenende ein Bild gezeichnet von Barack Obama als Frühpensionist: der auf weißen Yachten Urlaub macht mit Reichen und Berühmten, sich für Redeauftritte teuer zahlen lässt und dem Washington und die USA und das Ergehen der Welt vier Monate nach seinem Auszug aus dem Weißen Haus so egal sind wie der allfällige Sack Reis in China. Als die Kanzlerin also mit Obama auf die Bühne vor dem Brandenburger Tor tritt, erheben sich Beifall und Jubel

bis hinunter zur Siegessäule, immerhin gut zwei Kilometer. Wenn Fußballweltmeisterschaft ist, erstreckt sich hier die Fanmeile – und ein bisschen erinnert die Stimmung an diesem Himmelfahrtstag an das Sommermärchen vor elf Jahren.

Diesmal aber geht es um Religion, außerdem um Politik. Der Kirchentag, das größte Laientreffen der deutschen Protestanten, will sich von Obama und Merkel erklären lassen, wie man "engagiert Demokratie gestalten" kann. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, oberster Lutheraner der Republik, hat mit der Idee nicht nur Begeisterung erzeugt; ZDF-Mann Peter Hahne hat Obama einen "abgehalfterten Messias" genannt und gefragt: "Warum bezahle ich mit meiner Kirchensteuer Merkels Wahlkampf?"

Fragen zum Drohnenkrieg

Nun sind Politiker auf den Kirchentagen nichts Neues. Aber Obama in Berlin – das ist ein Coup, auch für die Kanzlerin. Und wer das bezweifelt, muss nur in die erwartungsfrohen Gesichter derer schauen, die es bis ganz an die Absperrung zum Sitzplatzbereich geschafft haben. Sehr junge Gesichter zumeist. Ein Mix aus Charme und Charisma erwartet sie beim Ex-Präsidenten, Lässigkeit und Selbstironie – also exakt, was Angela Merkel öffentlich vermissen lässt. Zumindest die Ironie hat sie drauf. Bedford-Strohm bekommt das zu spüren, als er anhebt "Wenn schon einmal der bis vor kurzem mächtigste Mann der Welt neben mir sitzt …" und Merkel ihn unterbricht mit "… direkt neben Ihnen sitze erst mal ich …"

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Der bis vor kurzem mächtigste Mann grinst, das Publikum lacht. Auch das ist kirchentagsgemäß, selbst ernste Themen mit einer optimistischen Grundheiterkeit zu verhandeln.

Und ernst wird es. Als der Student Benedikt Wichtlhuber von Obama wissen will, was es für ihn bedeutet, dass bei Drohneneinsätzen gegen Terroristen auch Zivilisten ums Leben kamen. "Wie schützt man sein Land vor Dingen, wie wir sie in Manchester oder Berlin oder Paris oder Nizza erlebt haben?", fragt Obama zurück. Und dass er sich der Gefahr bewusst sei, "dass man sich selbst aus der Angst raushalten kann, ein bisschen wie beim Videospiel". Aber: "Drohnen sind nicht das Problem; das Problem ist der Krieg."

Ähnlich professionell pariert Merkel Bedford-Strohms Frage nach der Abschiebung von jenen Flüchtlingen, "von denen alle wollen, dass sie bleiben". "Ein Dilemma", sagt die Kanzlerin – und auch sie fragt zurück: "Wir haben Gesetze und Vorschriften. Warum soll man Ausnahmen machen?"

Revolutionen machen nicht die Alten

Deutschlands oberster Katholik, Kardinal Reinhard Marx, könnte zufrieden sein in diesem Moment. Eine kontroverse Diskussion, sagt er vorab, sei "das Mindeste, was man erwarten kann".

Aber vor allem gönnt Obama dem Publikum viel von seiner Kunst, Worte zu Gefühlen und Hoffnungen zu fügen gegen die Welt, die er "kompliziert" und "gefährlich" nennt. "Engagiert euch!", ruft er – und es ist ein Appell vor allem an die Jungen.

Warnung vor Fake News

In den sozialen Netzwerken sei es heute für jeden leicht, seine Ansichten bestätigt zu bekommen – egal, wie absurd diese seien. Es sei deshalb mehr denn je nötig, einen unabhängigen Journalismus zu kultivieren und Kindern beizubringen, wie sie Informationen beurteilen und analysieren können, mahnte Obama.

Unter Verweis auf Martin Luther King und auf Jesus sagt Obama: "Es sind nicht die Alten, die die Revolutionen machen." Er selbst werde sich jetzt erst einmal bemühen, "ein guter Ehemann für Michelle zu sein". Noch einmal jubelt Berlin oder der Kirchentag Obama zu. (Cornelie Barthelme aus Berlin, 25.5.2017)