Wien – Die Verletzungsbilder nach dem Polizeieinsatz am 1. Jänner 2015 bei einer Tankstelle am Wiener Schwedenplatz unterscheiden sich doch deutlich. Für Gabriele L. endete die Amtshandlung mit drei Knochenbrüchen, einem Außenbandriss, Prellungen, Zerrungen und einem psychischen Trauma.

Die Folgen für die beteiligten Beamten: Einer erlitt eine Rötung der Wange, ein zweiter eine Schürfwunde am Schienbein. Vor Richterin Elisabeth Reich sitzt dennoch die 49-Jährige wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und schwerer Körperverletzung.

Angeklagte nervlich am Ende

Die unbescholtene Selbstständige leidet ganz offensichtlich noch immer unter dem Erlebnis. Tränen vor Gericht können unterschiedliche Gründe haben: Reue, Scham, Selbstmitleid. Bei L. ist es durchaus glaubwürdig, dass sie immer wieder schluchzt und eine Packung Taschentücher verbraucht, da sie noch immer nervlich am Ende ist.

Grundsätzlich ist sie geständig. Ja, es sei möglich, dass sie im Zuge einer Abwehrhandlung einen Polizisten im Gesicht erwischt und später auf einer Polizeiinspektion einen weiteren durch Tritte verletzt habe. Aber: "Es war nie meine Absicht, jemanden zu verletzen."

Die Richterin lässt sie ihre Geschichte erzählen. "Ich bin von einer Silvesterfeier gekommen und habe blendend gelaunt bei der Tankstelle Brot gekauft." – "Waren Sie beeinträchtigt?", fragt Reich. "Ich war leicht beschwipst", antwortet die Angeklagte, rund ein Promille soll sie laut einer Berechnung gehabt haben.

"War normales Gespräch"

Beim Brotkauf sei ihr die große Menge an Polizisten aufgefallen. Aus Neugierde sei sie zu einer Gruppe hingegangen und habe nach dem Einsatzgrund gefragt. "Das war ein normales Gespräch. Sie haben mir gesagt, ich solle nicht mit dem Auto heimfahren. Die Frage hat sich gar nicht gestellt, ich war nicht mit dem Auto da."

Als sie gegangen sei, habe sie auch noch zwei Beamtinnen gefragt, was da los sei. Nach einem kurzen, belanglosen Wortwechsel habe sie sich entfernt. "Da ist die Situation gekippt. Eine der Beamtinnen hat sich offenbar wegen dem Schlüsselbund in meiner Hand bedroht gefühlt." Die Polizistin habe in forschem Ton noch "Gengans ham!" gesagt, da sei sie schon von hinten angerempelt worden.

In ihren Zeugenaussagen haben die Beamten dagegen angegeben, Frau L. sei schon von Anfang an recht aggressiv gewesen. Der Polizist mit der geröteten Wange hat auch explizit von einem Faustschlag in sein Gesicht gesprochen.

"Ich hatte panische Angst"

Nach den Remplern sei sie jedenfalls von hinten gepackt und mehrmals um die eigene Achse gewirbelt worden, was auch auf dem Überwachungsvideo der Tankstelle zu erkennen ist. "Zehn Sekunden später war ich in einer dunkle Ecke, von fünf bis sechs schwarzgekleideten Männern umgeben, die geschrien und mich wüst beschimpft haben", schildert die Angeklagte. "Ich hatte panische Angst! Ich dachte, das ist ein großer Irrtum!"

Erst später habe sie auf dem Rücken eines Beamten das Wort "Polizei" gesehen; dass sie festgenommen sei, will sie nicht gehört haben. Danach sei sie in einer psychischen Ausnahmesituation gewesen.

Wie ihre Verletzungen zustande gekommen sind, bleibt dagegen unklar. Die Staatsanwaltschaft Eisenstadt ermittelte über ein Jahr gegen die beteiligten Polizisten. Die meisten Verfahren endeten mit einer Einstellung, es kam nur zu einem Prozess, der mit einem Freispruch endete.

Rechtswidriger Polizeieinsatz

Verteidiger Peter Vogl weist darauf hin, dass das Landesverwaltungsgericht Wien sehr wohl festgestellt habe, dass der Beginn der Amtshandlung, das Zurückziehen von Frau L., unverhältnismäßig und rechtswidrig gewesen sei.

Ein Umstand, den auch die Richterin in ihrer Begründung, warum sie sich für eine nicht rechtskräftige Diversion entscheidet, extra anführt. "Ich finde, dass gescheit geschulte Beamte in der Situation anders vorgehen hätten müssen." Reich glaubt L. auch, dass sie zu Beginn von einer Notwehrsituation ausgegangen sei. Die habe halt nicht bestanden – Reich ändert aber den Paragrafen für den angeblichen Faustschlag auf fahrlässige Körperverletzung.

Dass die Angeklagte einem der Polizisten bereits außergerichtlich 1050 Euro gezahlt hat und seit über zwei Jahren nicht mehr straffällig geworden ist, erleichtert der Richterin die Entscheidung zusätzlich. (Michael Möseneder, 24.5.2017)