Premierministerin Theresa May begab sich am Dienstag an den Ort des Anschlags.

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Theresa May verkörpert die Autorität ihres Amtes, als sie am Dienstag um kurz nach 11.00 Uhr auf die Downing Street vor ihrem Amtssitz tritt. Die tiefen Ringe unter ihren Augen verraten, dass die Premierministerin in der Nacht zuvor wenig Ruhe gefunden hat. May spricht von den "schrecklichen Ereignissen in Manchester", verurteilt die "kaltschnäuzige Terrorattacke", die mit kaltem Kalkül ausgerechnet auf junge Leute abgezielt habe. Und sie beschwört die Regierungschefin die Widerstandsfähigkeit der Briten: "Unser Lebensstil wird sich durchsetzen."

Bereits am frühen Morgen hatte sich die konservative Parteichefin mit Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn abgesprochen: Der Wahlkampf für die Unterhauswahl vom 8. Juni wird bis auf weiteres unterbrochen, womöglich bis zum Wochenende. In so einer Situation müsse man zusammenstehen, sagt Corbyn kurz nach Mays Erklärung: "Wir verurteilen den Anschlag auf das Schärfste und unterstützen Polizei, Sicherheitskräfte und Personal im Gesundheitswesen."

Die Bombe von Manchester hat den Wahlkampf in einem ungewöhnlich spannenden Moment unterbrochen. Die Schlagzeilen der Tageszeitungen spiegeln dies wider: Während in den Nachtausgaben der meisten Blätter die schreckliche Bluttat die Titelseite dominiert, standen die frühen Ausgaben ganz im Zeichen eines Wortes: Kehrtwende. So bezeichnen selbst konservative Blätter, was May am Montag als "Verdeutlichung" ihres Wahlprogramms verstanden wissen will. Vier Tage zuvor hatte sie eine neue Strategie vorgestellt, wie das Land den galoppierenden Kosten für die Pflege der ständig alternden Bevölkerung Herr werden könne.

Schnelles Abrutschen der Tories

Pflegebedürftige sollen zukünftig, anders als bisher, auch den Wert ihrer Häuser in die Einkommensgrenze von 100.000 Pfund einbringen, unterhalb deren der Staat alle Kosten übernimmt. Dies würde für viele zukünftige Erben harte Einschnitte bedeuten, da drei Viertel der Briten in den eigenen vier Wänden leben und der Wert ihrer Immobilien in den vergangenen beiden Jahrzehnten um mehrere Hundert Prozent gestiegen ist. Opposition, aber auch traditionell Tory-nahe Zeitungen sprechen von einer "Demenzsteuer", die Torys rutschten in den Umfragen binnen weniger Tage um mehrere Prozentpunkte ab.

In Interviews wirkt die Premierministerin angeschlagen. Dabei hat sie doch Werbung gemacht mit dem Slogan von ihrer "starken und stabilen Führung", hat den Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn persönlich als "schwach" angegriffen und immer wieder auf dessen Sympathien für die mittlerweile aufgelöste irische Terrortruppe IRA hingewiesen. Die Zeitung, die diesem Thema besonders begeistert nachging, steht am Dienstagmorgen besonders dumm da. "Blut an seinen Händen", lautet die Titel-Schlagzeile in Rupert Murdochs The Sun neben einem Foto von Corbyn. Gemeint ist natürlich nicht Manchester – es geht um die angebliche Ermutigung, die der Labour-Linksaußen vor einem Vierteljahrhundert den irisch-republikanischen Terroristen zuteilwerden ließ.

Symbolischer Wiederaufbau

Plötzlich geht es um eine ganz andere, die islamistische Spielart des Terrorismus. Auch sie ist den Briten seit mehr als zehn Jahren wohlbekannt. Instinktiv legen viele Politiker rhetorisch einen Arm um die mehr als drei Millionen in überwältigend Mehrheit friedfertigen Muslime des Landes. Der Attentäter habe versucht, die Gesellschaft zu spalten, sagt Manchesters frischgewählter Labour-Bürgermeister Andrew Burnham.

Wie man auf Zerstörungswut und Zynismus von Terroristen reagiert, hat ausgerechnet die nordenglische Metropole eindrucksvoll bewiesen. Im Frühjahr 1996 zerstörte eine IRA-Bombe das Einkaufszentrum Arndale im Herzen von Manchester. Dessen rascher Wiederaufbau symbolisierte seit der Jahrhundertwende die Renaissance von Manchester. Auch diesmal werde es darum gehen, sagt die örtliche Labour-Abgeordnete Lucy Powell, "die Wut, die wir alle empfinden, umzuwandeln in etwas Positives". Solange er kann, so lange muss der Wahlkampf warten. (Sebastian Borger, 23.5.2017)