Street-Art dominiert die Straßen von Bushwick im Norden von Brooklyn.

Foto: TUI/Florian Albert
Foto: TUI/Florian Alberg
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Im angrenzenden Williamsburg sind die Satmar-Juden zu Hause.

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Auch in Manhattan gibt es Neuigkeiten im Straßenbild: einen nackten Cowboy, der für Trump singt, und die spiegelnde Fassade des One World Tower.

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Die Straßen sind wie leergefegt an diesem Samstag in Williamsburg. Vereinzelt sind Männer und Buben mit bodenlangen schwarzen Gehröcken und Schtreimeln, ihrer Festtagskopfbedeckung, zu sehen. Sie sind auf dem Weg in die Synagoge.

Es ist Sabbat, im hektischen New York eigentlich kein Grund für Stillstand. Anders in Williamsburg auf der gegenüberliegenden Seite des East River – im nördlichen Brooklyn gibt es eine große Gemeinde der chassidischen Satmar-Juden. Sie gelten als strengst orthodox, lehnen den Zionismus ab und stellen sich gegen jede Form der Modernisierung. Die Zeit scheint stillzustehen. Günter Maislinger, der schon seit den 1970ern in New York lebt und als Reiseführer arbeitet, erzählt vom sektenähnlichen Leben der Satmar, die abgeschottet von der Stadt und ihren Bewohnern leben.

Krasse Gegensätze

Den gebürtigen Österreicher faszinieren die unterschiedlichen Sphären und krassen Gegensätze von New York, ganz besonders der haredische, also ultraorthodoxe Teil im südlichen Williamsburg. Manchmal kommt er extra über den East River, um die brennenden Feuer zu Pessach zu beobachten, wenn nach jüdischer Tradition alle gesäuerten Lebensmittel verbrannt werden müssen.

Während die Männer zu Sabbat in die Synagoge gehen, müssen ihre Frauen zu Hause bei den Kindern bleiben – jegliche Arbeit ist ihnen am Sabbat untersagt. Nach der haredischen Lehre zählt dazu auch das Schieben eines Kinderwagens oder das Benützen eines Aufzugs.

Diese Ecke von Williamburg zwischen Division Av, Heyward Street und Brooklyn Navy Yard ist das geburtenreichste Viertel New Yorks. Eine Familie hat durchschnittlich acht Kinder. Die Ehen werden arrangiert, bei der Eheschließung muss die Braut ihrem Gatten zwölf Kinder versprechen, sechs Mädchen und sechs Buben, erklärt Maislinger. Nach dem Pro-Kopf-Einkommen zählt es auch zu den ärmsten Gegenden der Metropole. Doch die Gemeinschaft sorgt für ihre Schäfchen. Viele arbeiten im Elektronikfachgeschäft B&H, das einem haredischen Juden gehört.

Paradies für Fotografen

Der Store in Manhattan gilt als Paradies für Fotografen. Busse bringen die ausschließlich männlichen Mitarbeiter, die allesamt Schläfenlocken tragen, täglich aus Brooklyn zu ihrer Arbeit. Das Geschäft ist am Sabbat und an allen jüdischen Feiertagen geschlossen, das gilt dann auch für den Onlineshop.

Haredische Frauen dürfen keiner Arbeit nachgehen, auch ein Schulbesuch ist für sie nicht vorgesehen – sie werden zu Hause unterrichtet. Für die Hochzeit müssen sie sich ihre Haare abscheren und fortan eine Perücke tragen. Über das Leben innerhalb der Satmar-Gemeinde und ihren Ausstieg daraus hat Deborah Feldman das Buch "Unorthodox" geschrieben. Es stand monatelang auf den Bestsellerlisten.

Wenige Straßen weiter zeigt sich New York von einer völlig anderen Seite: Die Wände sind kunstvoll bemalt, selbst auf dem Boden finden sich Graffiti, auch politische Parolen. New York City hat Donald Trump nicht gewählt, er ist nicht ihr Präsident, und wo könnten diese Statements besser platziert werden als in einer Open-Air-Galerie? Lagerhallen wurden zu Ateliers umgebaut, den Jungen, den Kreativen und jenen, die beides sein wollen, ist Williamsburg zu teuer geworden, sie sind einige Blocks weiter nach Bushwick gezogen.

Bushwick Collective

Die Gentrifizierung der Gegend hat durch das Bushwick Collective begonnen. Es wurde von Joseph Ficalora begründet. Seiner Familie gehörte eine Stahlfabrik, eine jener Fabriken, die nun als Ateliers Künstlern Unterschlupf bieten. Wenn die Stahlarbeiter nach Hause gingen, eroberten Prostituierte und Kriminelle die Straßen. Graffiti und Vandalismus prägten bis in die 90er-Jahre das Erscheinungsbild. Ein trister Ort, den Ficalora unbedingt verlassen wollte, auch weil sein Vater überfallen und ermordet wurde.

Ende der Nullerjahre kehrte er zurück und lud namhafte Street-Art-Künstler ein, die Gegend aufzuwerten. Dadurch wurde sie zu einer bedeutenden Outdoor-Galerie. Mit den Künstlern kamen die Cafés, Vintageläden und Gourmetlokale, die sich auch in Hinterhöfen verstecken können – das Viertel ist hip, und die Bewohner wissen das. Doch dass die Kommerzialisierung auch vor Bushwick nicht haltmacht, wird sichtbar, als eine H&M-Werbung im Graffiti-Stil angefertigt wird – Kapitalismus, als Kunst getarnt.

Kleiner amerikanischer Traum

Bushwick steht auch für Start-ups und den kleinen amerikanischen Traum. Zumindest ist das Roberta's Pizzeria gelungen. Drei Freunde wollten mit Omas (Roberta) neapolitanischem Pizzarezept endlich authentische Pizza in New York zubereiten, die mit den italienischen Vorfahren mehr als den Namen teilt. Innerhalb kurzer Zeit ist das Hinterhoflokal zum Geheimtipp geworden, heute feiern Comedian Amy Shumer und Chelsea Clinton dort ihre Partys im Hinterhof. Sie essen ihre Pizza auf Holzbänken zwischen Hochbeeten, in denen Oregano und Rosmarin für die hauseigene Produktion wachsen.

Allerdings sind auch in Bushwick die Mieten hochgeschnellt, und viele Künstler sind längst weitergezogen. Trotzdem gilt: Was Manhattan für Finanzjongleure, Banker, Anwälte und Immobilientycoons bedeutet, ist Brooklyn, im Speziellen Bushwick, für die alternative Szene.

Nicht homogen

Über die Manhattan Bridge geht es zurück auf die bekannteste Insel von New York City. Links und rechts vom Central Park, in der Upper West und der Upper East Side, ist das alte Geld zu Hause. Die Gegend versprüht den Charme von Dinnerpartys, Tiffany und Privatjets. Dogsitter mit mindestens vier Hunden an der Leine gehören zum Bild in der Park Avenue genauso dazu wie Doormen, die vor den überdachten Entrees der außen eher unscheinbaren Gebäude stehen. Es ist einer der vielen Gegensätze, die einen in New York immer wieder staunen lassen.

Kaum ein Klischee, das nicht bedient wird. Der Stadt wird permanente Schlaflosigkeit unterstellt, und selten wird sie mit Birnen verglichen. Doch der "Big Apple" ist nicht homogen: Wirken die teuer angezogenen Anzugträger im Financial District mit Smartphone noch typisch, wird der amerikanische Traum wenige Blocks weiter durch Obdachlose, die genauso zum Stadtbild gehören, konterkariert. Oder Soho, Greenwich Village, Tribeca, wo Studenten und Bobos fast zum Inventar gehören. Man könnte meinen, es seien viele Städte zusammengefasst.

Bauboom

Gebaut wird viel in Manhattan, auch wenn es sich kaum einer leisten kann, eine Wohnung zu kaufen. Glaubte man vor der Krise 2008 noch an einen Rekordpreis von 28.000 Dollar (rund 25.000 Euro) pro Quadratmeter, ist dieser neun Jahre später bereits auf das Dreifache gestiegen. Wenn das alte Geld beim Central Park zu Hause ist, wird das neue Geld – das der Spekulanten, Internetmilliardäre und ausländischen Investoren – in neu hochgezogene Wolkenkratzer investiert. Obwohl der entstandene Wohnraum nur selten als solcher genutzt wird und die Preise weiter in die Höhe getrieben werden.

Das hält aber die Investoren nicht davon ab, mit neuen, gigantischen Bauprojekten an Manhattans Wolken zu kratzen. Etwa beim Chelsea Pier, wo über dem Bahnhofsareal ein neuer Stadtteil entstehen soll – die Hudson Yards. Das Projekt strotzt von Superlativen, bis dato ist es aber bloß eine gigantische Baustelle, erst ein Gebäude ist fertiggestellt. Das höchste Haus soll das Empire State Building überragen, eine neue Aussichtsplattform die höchste werden, höher als jene des neuen One World Tower. Herzstück wird die Vessel sein, ein Treppenkomplex, der an ein Kunstwerk von MC Escher erinnert. Auf den 154 ineinandergreifen Treppen sollen Besucher sitzen und herumklettern können, ein Aufzug wird an die Spitze führen. Die Erwartungen sind groß.

Bis dahin gibt es noch viele Möglichkeiten für eine Verschnaufpause, etwa auf der High Line, einer alten Bahnstrecke, die zu einem Park umgewandelt wurde, bevor man wieder in die Stadt eintaucht und ihre vielen Gesichter erkundet. (Marie-Theres Egyed, RONDO, 26.5.2017)