Bernhard J. Hofer ist Geschäftsführer des Linzer Instituts für Sozialforschung Public Opinion, das im Auftrag des Sozialministeriums 2015 den Zweiten Freiwilligenbericht erstellt hat.

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Freiwillige Helfer in einer Spendensammelstelle für Flüchtlinge am Wiener Westbahnhof im September 2015.

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Wien – Das Freiwilligenengagement wandle sich, Helfer suchten Spaß und Bestätigung, sagt der Soziologe Bernhard Hofer. Der 60-Jährige ist Geschäftsführer des Linzer Instituts für Sozialforschung Public Opinion, das im Auftrag des Sozialministeriums 2015 den Zweiten Freiwilligenbericht erstellt hat.

STANDARD: In Österreich, so heißt es, engagieren sich besonders viele Menschen als Freiwillige oder Ehrenamtliche. Stimmt das wirklich?

Hofer: Der Anteil Freiwilliger ist mit 46 Prozent der Bevölkerung – oder 3,3 Millionen Menschen – tatsächlich hoch. Aber es gibt Verschiebungen: Im formellen Bereich, also bei Vereinen und Institutionen, ist das Engagement zwischen 2009 und 2016 gleich geblieben, im informellen Bereich, also bei der Nachbarschaftshilfe und Ähnlichem, ist es hingegen um vier Prozent gestiegen. Im informellen Bereich engagieren sich immer mehr Jüngere.

STANDARD: Warum das?

Hofer: Das hat mit einer Bewusstseinsveränderung zu tun. Vor drei, vier Jahrzehnten wären die wenigsten auf die Idee gekommen, etwa einen Einkauf für ältere Nachbarn als freiwilliges Engagement zu bezeichnen. Es war eine Selbstverständlichkeit. Heute wird diese Selbstverständlichkeit zunehmend hinterfragt: eine Folge von Überalterung, Veränderungen im Arbeitsbereich, Migration. Darauf reagiert die Politik und holt die für ein gedeihliches Zusammenleben wichtigen Leistungen vor den Vorhang, nach dem Motto "Tue Gutes und rede darüber", worauf sich die Bürger denken: Hier bringe ich mich auch ein.

STANDARD: Nimmt das private, informelle Freiwilligenengagement also paradoxerweise infolge eines abnehmenden sozialen Zusammenhalts zu?

Hofer: Sagen wir es so: Das Freiwilligenengagement ist einem Wandel unterworfen.

STANDARD: Was braucht es, um heutzutage Freiwilligenengagement zu fördern?

Hofer: Einerseits wird der Wunsch nach gesellschaftlicher Teilhabe immer größer, andererseits wollen die Helfer aus ihrem Engagement zunehmend Nutzen ziehen. Sie wollen ihre Talente und Fähigkeiten einbringen, Wertschätzung erfahren, Spaß haben, aber auch ihre Kompetenzen erweitern. Dabei darf jedoch die Grenze zur Professionalisierung nicht überschritten werden, denn dann empfinden sich Freiwillige rasch vereinnahmt und ausgenutzt, etwa bei der Feuerwehr oder im Rettungswesen.

STANDARD: Gibt es bei den Freiwilligen ein Nachwuchsproblem?

Hofer: Sicher, und zwar vor allem in ländlichen Gebieten. Die Abwanderung Jüngerer stellt dort die Freiwilligenstrukturen vor große Herausforderungen. In den Städten ist das anders, auch gibt es dort weit mehr Berufsfeuerwehren und -rettungsdienste.

STANDARD: Österreichweit gibt es in Wien den höchsten Anteil Freiwilliger. Wie ist das zu erklären?

Hofer: Das hat mit dem höheren Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Wien zu tun. Das Ausmaß privater Hilfen, etwa bei Einkäufen, in der Pflege oder bei Behördengängen, ist bei Migranten größer als bei Nichtmigranten. Das hängt auch damit zusammen, dass es immer noch nicht gelungen ist, Menschen mit Migrationshintergrund in die formellen Vereine zu integrieren. Am besten ist das bisher bei Sportklubs gelungen, am schlechtesten bei den Katastrophenhilfen.

STANDARD: Hat eigentlich die seit 2015 verstärkte Flüchtlingshilfe etwas an Ausmaß oder Art des Freiwilligenengagements verändert?

Hofer: Ereignisse wie die Flüchtlingswelle rufen eine enorme Hilfsbereitschaft hervor. Die Frage ist, ob sich daraus fixe Strukturen entwickeln. Die Chancen dazu sind gut, wobei es hier sehr darauf ankommt, wie sich die Dinge politisch entwickeln. (Interview: Irene Brickner, 23.5.2017)