Für die Collagen-Serie "Skins" (2016) bediente sich die Künstlerin Ines Doujak medizinischer und zoologischer Lehrbücher des 19. Jahrhunderts.

Foto: Ines Doujak

Wien – Was, wenn man Columbus weniger als Entdecker denn als Entdeckten betrachtet? Was, wenn man annimmt, er habe den fremden Kontinent nicht entdeckt, sondern sei vielmehr von diesem entdeckt worden? Dieses reizende Gedankenspiel vermag, weiter getrieben, sämtliche Geschichten von der Erkundung der Welt in ein neues Licht zu rücken.

Als gängige Denkfigur der Kolonialismuskritik dient es aber auch als Aufhänger der Festwochen-Ausstellung 2017, The Conundrum of Imagination. Dieser Titel bezieht sich auf ein Poem von James Baldwin, worin eingangs erwähntes Columbus-Problem mit der philosophischen (Huhn-Ei-)Frage verknüpft wird, ob nun unsere Vorstellungen die Umstände bedingen oder umgekehrt. Eben derlei unlösbare Fragen sind mit dem denkbar klangvollen Wort "conundrum" bezeichnet.

16 Künstler lud das Kuratorenduo Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Pauline Doutreluigne ein, Positionen im Geiste des Postkolonialismus zu präsentieren. Fünf werden im Performeum gezeigt, der größere Teil im Leopold-Museum. Begrüßt wird man dort von einem mit Kohlenstücken befüllten Becken, der partizipativen Installation Black Diamond (2010-2017) von Ahmet Ögüt. Irgendwo unter den Kohlen verberge sich ein "Schatz", erfährt man: ein Stück Museumswand, das der glückliche Finder gegen einen Diamanten tauschen darf.

Gummistiefel und Spitzhacken stehen bereit, auf dass Besucher sich zahlreich auf Schatzsuche begeben mögen. Dabei fällt ihnen günstigstenfalls ein, dass dieser schmutzigen Arbeit insofern etwas Absurdes anhaftet, als Diamanten und Kohle über dieselbe chemische Struktur verfügen.

Ambivalente Blicke

Dass A in B eigentlich schon drinsteckt, ohne dass B das A in sich erkennen respektive wahrhaben wollte, ist ein wiederkehrendes Motiv der Schau. Für eine Position, die sich direkter mit der Realgeschichte befasst, kann der Beitrag von Abraham Onoriode Oghobase stehen. What if Austria had colonised Nigeria? (2017), fragt der Künstler – und gibt die Antwort mit humorigen Drucken, in denen die nigerianische Landschaft mit barocken Heiligenfiguren bestückt erscheint.

Über die Atmosphäre funktioniert das Video Tropikos (2016) des Briten John Akomfrah, eines der berückendsten Stücke der Schau. In aller Langsamkeit entspinnt sich ein Kostümfilm, der über eine Serie von Tableaux vivants ins England des 16. Jahrhunderts führt. Shakespeares Sturm wird rezitiert; exotische Gewürze werden bildlich ausgekostet; es regnet. Akomfrah schafft hier eine bildgewaltige Dekonstruktion des Genres Historienfilm, die zugleich große Gefühle beschwört. Diese ambivalenten Blicke, die über eine Stiege hinweg ausgetauscht werden – sie sind Imaginationen über die ersten Begegnungen der Briten mit Menschen aus der Fremde.

Durch eine kluge Verzahnung von Form und Inhalt, die durchaus nicht allen Arbeiten der Schau gegeben ist, überzeugt auch die österreichische Künstlerin Ines Doujak. Skins nannte sie eine Serie von Collagen, in der sie medizinische und zoologische Bücher des 19. Jahrhunderts zitiert. Illustrationen zu Krankheitsbildern, Zeichnungen von inneren Organen, aber auch Tierdarstellungen verschmolz Doujak zu Fantasiewesen.

Zum einen will Doujak hier auf die verhängnisvolle Macht der Bilder in der Medizin hinaus, auf jene übermächtigen Vorstellungen von gesund und krank, die nicht zuletzt von Kolonialisten aufs Drastischste bemüht wurden. Zum anderen verschwimmen hier aber auch schlicht auf reizvollste Weise die Grenzen zwischen abstoßend und anziehend, schön und hässlich. (Roman Gerold, 20.5.2017)