Graz – Der Staatsanwalt hält kurz inne, ehe er mit leiser Stimme fortfährt: "Wir haben viel zu lange weggeschaut." Viel zu lange sei in österreichischen Moscheevereinen radikaler, politischer Islamismus gepredigt, die Terrormiliz IS verherrlicht und selbst Kinder "mit dieser faschistischen Ideologie indoktriniert worden".

Die Kinder seien hier in Österreich aufgewachsen, "in den Schulen wurde ihnen aber sicher nicht der radikale Islam beigebracht. Es muss eine systematische Gegenerziehung gegeben haben. Es ging darum, die demokratischen Werte zu brechen, die sie in der Schule gelernt haben, es ging um die grundlegende Ablehnung der österreichischen Republik", formulierte der Staatsanwalt zu Beginn des am Donnerstag gestarteten neuerlichen Prozesses gegen mutmaßliche Jihadisten durchaus politisch.

Zwei österreichische Elternpaare – gebürtige Bosnier – sitzen die nächsten Tage in Graz vor Gericht. Sie sind angeklagt, mit ihren acht Kindern nach Syrien gefahren zu sein, um sich dem IS anzuschließen und für ihn zu kämpfen. Einer der angeklagten Männer, der in Österreich den Jagdschein abgelegt hatte, soll als Scharfschütze gedient haben – was er leugnet. Den Syrien-Aufenthalt gestehen alle vier Angeklagten.

Als sie realisierten, dass der IS doch nicht das vermeintlich "gelobte" Land war, kehrten sie nach Österreich zurück, wo sie verhaftet wurden.

Von den Kindern belastet

Schwer belastet werden die insgesamt drei Ehepaare – ein weiteres angeklagtes Paar kam nicht zur Verhandlung – von ihren eigenen Kindern, die nun bei Pflegeeltern untergebracht sind.

Einmal, so hatte eines der Kinder, ein neunjähriger Bub, der Polizei erzählt, sei er abends in Raqqa von der Moschee nach Hause gegangen, als er an einer Kreuzung eine Menschenansammlung sah. Ein Mann mit Mikrofon fragte in die Runde, wer dem neben ihm knienden und gefesselten Mann den Kopf abschneiden wolle. Er wurde geköpft. "Der Bub sagte nicht, er wurde getötet, sondern geschlachtet. Das ist IS-Propagandasprache", sagt der Ankläger.

Den Kindern seien auch schon in Österreich "Schlachtungsvideos" vorgespielt worden. Ein anderer Bub habe dann mit einem Kamm bei seinem Teddybär "Köpfen gespielt".

"Pflicht" ins Kalifat zu fahren

Die Mädchen seien auch in Österreich schon gezwungen worden, Kopftücher zu tragen, in Syrien bei 40 Grad wie ihre Mütter zudem den verhüllenden Nikab und schwarze Handschuhe, erinnert sich eine der Angeklagten. Sie habe halt alles getan, was ihr Mann verlangt habe. Eigentlich habe sie ja gar nicht nach Syrien gewollt. Aber ihr Mann habe entschieden. "Ich hatte gegen meinen Mann keine Macht. Ich muss das machen, was der Mann sagt, ich muss mich ihm unterwerfen."

Prediger in der Moschee in Graz hätten gesagt, dass es Pflicht sei, ins Kalifat nach Syrien zu fahren. Alle hätten davon geschwärmt. "Und der Krieg?", fragt der Richter. "Der ist weit weg, hat man uns gesagt."

"Aber sie hatten hier in Österreich doch ein sehr angenehmes Leben. Der Mann hatte einen Job, sie besaßen ein Haus." "Ja schon", sagt die Angeklagte, "aber unten, hat man uns gesagt, ist man frei." "Frei", ergänzt sie, nicht in dem Sinne, "dass eine Frau machen kann, was sie will, aber sie kann sich frei bewegen – mit Nikab". (Walter Müller, 18.5.2017)