Tabletten wirken von Patient zu Patient unterschiedlich.

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Die Auswertungsergebnisse eines Gentests am Beispiel von Max Wellan, dem Präsident der Österreichischen Ärztekammer,

Foto: Apothekerkammer/Stratipharm
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Vor zwei Jahren ist ein vierjähriges Mädchen in Niederösterreich mit einer einfachen Erkältung gestorben, nachdem es einen Codein-haltigen Hustensaft bekommen hat. Was weder der Arzt noch die Mutter wissen konnten, die das Medikament verschrieben beziehungsweise verabreicht haben: Die Kleine gehörte aufgrund ihrer genetischen Ausstattung zu jenen zwei Prozent der Bevölkerung, die Codein zu rasch in den Wirkstoff Morphin umwandeln. Sie starb an einer Überdosis.

Fest steht also: Gene bestimmen die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten. "Arzneimittel wirken nicht bei allen Menschen gleich. Sie interagieren mit Proteinen, die fehlerhaft vorliegen können. Das kann dazu führen, dass ein Arzneimittel nicht wirkt oder nicht vertragen wird," so der Pharmazeut Theo Dingermann. Ab sofort können die Österreicher daher mittels Gentest in der Apotheke untersuchen lassen, welche Medikamente sie optimal vertragen und wie gut sie beim Einzelnen wirken. Mehr als 500 Apotheker haben diese Tests zuvor bei sich selbst ausprobiert und für praktikabel befunden, hieß es kürzlich bei einer Tagung der Apothekerkammer in Wien.

Mit den neuen Tests wären Unglücksfälle wie jener des vierjährigen Mädchens im Voraus vermeidbar. Die Patienten können den Test in einer von 250 dafür zertifizierten Apotheken kaufen, müssen einen Abstrich der Mundschleimhaut mittels Wattestäbchen machen, der dann ins Labor geschickt wird, erklärt Dingermann. Dort wird untersucht, welche Varianten der Kunde für 31 Gene hat, die für die Verstoffwechselung der wichtigsten Arzneimittel verantwortlich sind.

Test bietet Lösungen an

Der pharmakogenetische Test würde mögliche Probleme voraussagen und Lösungsmöglichkeiten bieten, erklärt Anna Eichhorn von der Firma Humatrix, die die Gentests entwickelt hat und produziert. Sie werden in den Ampelfarben Grün, Gelb, Orange und Rot dargestellt. Grün bedeutet, dass das Medikament gemäß Beipackzettel einzunehmen ist, bei Gelb ist dies auch geraten, allerdings solle der Patient Verträglichkeit und Wirksamkeit nach der Einnahme genau beobachten.

Zeigt das Ergebnis Orange an, wird ein anderer Wirkstoff oder eine andere Dosierung empfohlen, während bei Rot höchste Vorsicht geboten ist. Diese Arzneistoffe sollten gar nicht eingenommen werden, da sie im Körper unerwünschte Reaktionen hervorrufen können. Diese können etwa Unwohlsein, Kopfschmerzen, Kurzatmigkeit, Störungen der Herzfunktion oder Vergiftungserscheinungen sein.

Bei Codein-hältigen Medikamenten würde zum Beispiel bei zwei Prozent der Patienten mittels roten Alarmsignals vor der Einnahme gewarnt. Knapp die Hälfte der Bevölkerung erhalte laut dem Selbstversuch der Apotheker ein orangefarbenes Signal, weil wiederum der Verdacht auf Unwirksamkeit vorliegt.

Großteil im grünen Bereich

Mehr als 500 österreichische Apotheker haben den Test seit Juni 2016 an sich selbst erprobt, um genau zu kennen, was sie ihren Kunden anbieten, erklärt Max Wellan, Präsident der Österreichischen Apothekerkammer. Die Apotheker wissen nun von 280 Wirkstoffen, die sie mitunter noch nie eingenommen haben, wie gut ihr Körper sie verträgt, ob sie überhaupt wirken und welche Dosierung optimal ist, sagt Dingermann. Gefahr (rote Warnstufe) sei nur bei 0,2 Prozent der Fälle angezeigt worden, im Schnitt war die Hälfte der getesteten Arzneien im grünen Bereich.

Im Zuge der Auswertung werden auch Lösungsvorschläge angegeben, sodass durch Anpassung der Dosis oder das Ausweichen auf einen alternativen Wirkstoff letztlich alle angedeuteten Probleme gelöst werden können. Besonders interessant waren im Selbsttest der Apotheker die Fälle, bei denen die Probleme durch eine Anpassung der Dosis leicht lösbar sind, etwa weil der Patient einen Wirkstoff viel langsamer abbaut als die Norm, heißt es von der Apothekerkammer. Hier wirkt das Medikament bei einer deutlich niedrigeren Dosis und gleichzeitig werden die Unverträglichkeiten reduziert, die auftreten, weil dieser Patient eine höhere Dosis bekommt, als er benötigt. Aber auch der umgekehrte Fall trete immer wieder auf, bei dem das Medikament viel schneller als normal abgebaut wird. Die Lösung sei eine teils deutliche Dosissteigerung.

Der pharmakogenetische Test ist ab sofort in ausgewählten Apotheken erhältlich und kostet 515 Euro. Darin ist nicht nur die Laboranalyse enthalten, sondern auch lebenslange Updates, wenn neue Wirkstoffe in die Datenbank aufgenommen werden. Die Ergebnisse geben ausschließlich Auskunft über die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Wirkstoffen, und nicht etwa über Krankheitsrisiken oder andere persönliche Eigenschaften, heißt es von den Experten.

Ausgewählte kritische Wirkstoffe

  • Metoprolol gehört zur Wirkstoffklasse der Betablocker. Diese werden etwa zur Therapie einer Herzinsuffizienz eingesetzt. 45 Prozent der Teilnehmer der Apotheker-Studie haben eine Warnung (orange) und geeignete Lösungsvorschläge erhalten (Standarddosis reduzieren oder auf Alternativwirkstoff ausweichen). 2,8 Prozent sind gewarnt worden, dass der Wirkstoff bei ihnen unwirksam sein könnte.
  • Acetylsalicylsäure nehmen täglich tausende Patienten ein, um leichte Schmerzen zu behandeln. Knapp 36 Prozent der Teilnehmer dieser Studie haben eine Warnung (gelb) erhalten, dass sie dieses Schmerzmittel möglicherweise nicht optimal vertragen.
  • Doxepin ist ein Arzneistoff aus der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva. Diese Wirkstoffklasse macht kritische Probleme bei vielen Patienten. 45 Prozent der teilnehmenden Apotheker haben eine Warnung (orange) und geeignete Lösungsvorschläge erhalten.
  • Flecainid ist ein Mittel gegen Herzrhythmusstörungen. Dieser Wirkstoff wird von vielen Patienten nicht optimal vertragen. 45,4 Prozent der Teilnehmer sind von diesem Problem betroffen gewesen. Als Lösung wird eine Reduktion der Dosis um 50 Prozent empfohlen
  • Clopidogrel zählt zu der Gruppe der Arzneistoffe, die die Blutgerinnung beeinflussen. Das Medikament wird zur Therapie und zur Vorbeugung gegen die Bildung von Blutgerinnseln verwendet. 30,8 Prozent der Teilnehmer haben eine Warnung erhalten, dass eine Therapie mit diesem wichtigen Wirkstoff unwirksam sein könnte.
  • Codein wird als Hustenblocker und teilweise auch als Schmerzmittel eingesetzt. Um wirken zu können, muss es in der Leber zu Morphin umgewandelt werden. Bei 45,4 Prozent der Teilnehmer wird ein Verdacht auf Unwirksamkeit in der Schmerztherapie angezeigt. Es wird dringend die Umstellung auf einen anderen Wirkstoff empfohlen.
  • Fluorouracil ist ein Krebsmedikament, das eingesetzt wird, um Zellen abzutöten. Patienten, die dieses Medikament nicht normal abbauen können, sollten mit einem anderen Wirkstoff behandelt werden. 2,2 Prozent der Teilnehmer waren betroffen. Würden sie mit dem Wirkstoff behandelt, würden massive Probleme auftreten (rot).
  • Tamoxifen erhalten Patientinnen, die an einem Brustkrebs operiert wurden, um ein Wiederauftreten des Tumors möglichst zu verhindern. Bei vielen Patientinnen kann der Wirkstoff jedoch nicht wirken (orange). 61,3 Prozent der Teilnehmer dieser Studie wären von diesem Problem betroffen. Eine alternative Therapie sollte in Erwägung gezogen werden.
  • Ribavirin wird zur Therapie einer Infektion mit dem Hepatitis B- oder C-Virus eingesetzt. Man weiß, dass bestimmte Patienten schlechter auf den Wirkstoff ansprechen. 55,4 Prozent der Teilnehmer zeigten ein schlechteres Ansprechen auf eine Therapie mit Ribavirin (orange). Diese Patienten sollten die Therapie über 48 Monate statt nur über 24 Monate erhalten. (APA, red, 17.5.2017)