Von pulsierenden grünen Punkten an der Unterseite aller neuen Tracker – und vom Mysterium meiner dagegen immunen Unterarme

"Vermutlich" ist das falsche Vokabel. "Bestimmt" dürfte passen. Also: Die neue Suunto ist bestimmt großartig. Denn mit der Spartan Sport Wrist HR hat Suunto eine Uhr auf den Markt gebracht, die fast alles kann, was Sportuhren derzeit können sollen müssen. Ungeachtet der Frage, ob man das überhaupt braucht. Oder auch nur ansatzweise ausnutzt. Doch darum geht es nicht: Auch Smartphone, Laptop, Schlagbohr- oder Küchenmaschine und Auto können weit mehr, als das Gros der Käufer tatsächlich braucht: Wir, die Kunden, wollen das. Wollen Spielzeug. "Wir verkaufen Potenziale", umriss das der frühere CEO von Mammut einmal.

Foto: Thomas Rottenberg

Sportuhren brauchen drei Funktionen: Sie müssen Zeit, Ort und Puls erkennen. Daraus errechnen sie dann, was wir bei Laufen, Radfahren, Inlineskaten, Wandern und Co wissen wollen. Das ist die Basis.

Kombiniert mit fixen, vorab eingegebenen (Alter, Geschlecht, Körpergröße) oder periodisch upgedateten (Gewicht) Parametern werden dann auch noch andere Daten errechnet: der Kalorienverbrauch pro Tätigkeit oder Tag etwa. Daraus kann man dann 1.000 weitere nützliche oder komplett sinnfreie Informationen, Tabellen, Kurven, Gesamt-, Dauer- oder Momentmessungen ableiten.

Implementiert man dann Trägheitssensoren, lassen sich Schritte, Stiegen und Treppen zählen. Und auch Schwimmzüge und Schwimmstile – und somit sogar die Anzahl der Züge im Schwimmbecken.

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Kombiniert mit der richtigen Kartensoftware wird das Gerät zum Navi, das Golfern auch sagen kann, wie weit der Ball vom nächsten Loch liegt.

Und weil die Geräte ihre Informationen irgendwie mit dem Smartphone teilen müssen, sind noch Bluetooth, Wi-Fi und andere Kommunikationstools an Bord: Das Handy bleibt im Rucksack – und ich weiß trotzdem, wann mir jemand ein Mail schreibt, mich auf Facebook taggt oder anruft. Ich kann via Uhr abheben und am Bluetooth-Headset telefonieren, die Musik (entweder auf die Uhr gespielt oder vom Handy) steuern. Und weitere – externe – Geräte oder in die Uhr implementierte Apps nutzen: vom Rad-Trittfrequenzsensor über den Wattmesser bis hin zur Badezimmerwaage – oder Wetter- und Verkehrslage-Apps.

Wenn die Uhr auch barometrische Funktionen hat, freue ich mich am Berg und beim Segeln über Gewitterwarnungen – oder weiß beim Fallschirmspringen, wann ich die Reißleine ziehen muss.

Keine Hexerei, sondern eine Frage des Preises. Bei allen Herstellern.

Ach ja: Die Uhrzeit zeigen Sportuhren auch.

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Zeitmessung ist klar. Ortsbestimmung mittlerweile auch: Die Uhren nutzen GPS und/oder Glonass – und sind je nach gewünschter Präzision und Akkualufzeit unterschiedlich exakt. Das ist heute Standard. Nicht ganz standardisiert ist die Art der Pulsmessung: Bis vor rund drei Jahren war die Messung per Brustgurt state of the art. Doch das Gummiband mit Sensor wird zum Auslaufmodell. Zumindest auf den erste Blick: Statteten namhafte wie unbekannte Hersteller anfangs bloß günstige und Einsteigermodelle mit in die Unterseite der Uhr eingebauten optischen Pulsmessern aus, sind heute auch die Spitzenmodelle aller Hersteller mit den pulsierenden grünen Dioden ausgestattet. Sie messen nicht am Herzen, sondern am Handgelenk. Streng genommen wird also gar nicht der Herzschlag gemessen, obwohl Puls und Herzfrequenz natürlich zusammengehören. Egal: Fakt ist, dass heute niemand mehr ein Gerät ohne Handgelenks-Pulsmessung auf den Massenmarkt wirft.

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Extrem laienhaft ausgedrückt, misst das grüne Licht im gut abgedunkelten Schattenreich zwischen Uhr und Hand minimale Veränderungen an der Hautoberfläche, die durch das Pulsieren des Blutes verursacht werden. Hochsensibel und – lange – hoch fehleranfällig. Das Prinzip ist zwar lange bekannt, aber bei Körpern in Bewegung konstant exakt und präzise zu messen eben ein dickes Brett.

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Auch heute räumen alle Hersteller auf Nachfrage ein, dass der Brustgurt mehr kann und verlässlicher und genauer ist. Fakt ist aber auch, dass vor allem Frauen die Gummibänder in Kombination mit Sport-BHs oft als störend bis wundscheuernd empfinden – und auch Männer, die sich an das Laufen "ohne" gewöhnt haben, meist lieber ohne Gummiband laufen.

Schließlich ist Hobbysport kein Aufenthalt im Labor oder auf der Intensivstation: Drei, fünf oder sieben Schläge Abweichung sind in Wirklichkeit vollkommen wurscht.

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Egal. Abgesehen von Lifestyle- und Gadget-Funktionen ist dort, wo "Sport" draufsteht, aber eben eines Thema: die Herzfrequenz. Sie ist das Maß aller Dinge – der Rest ist Beiwerk. Also brachte nun auch Suunto sein Spitzengerät, die Spartan, mit grünen Punkten auf den Markt.

Ich habe die Vorgänger-Spartaner schon getragen und getestet. Und prinzipiell für gut befunden: Als das Gerät auf den Markt kam, waren längst nicht alle Anwendungen fertig oder brauchbar. Doch das ist erstens (leider) nicht unüblich, wird zweitens im Zuge zahlloser Firm- und Softwareupdates repariert und machte die Spartan seither drittens zu einer sehr brauchbaren "Waffe" im Hochpreisbereich. Nun ist sie als "Wrist HR"-Version da. Schön und, wenn man bereit ist, für derartiges Spielzeug viel Geld auszugeben, ihre rund 500 Euro sicher wert.

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Präzise und punktgenaue Techno-Tests des jüngsten Spartaners gibt es etliche. Unangefochten die akkuratesten und objektivste Reviews dieser (und aller anderen gängigen) Sport-Tech-Tools findet man bei "DC Rainmaker" – und auch wenn ich nicht so tief in die Materie dringe wie der Regenmacher, decken sich unsere Urteile meist inhaltlich. Auch bei der Spartan HR: ein sehr brauchbares Gerät, bei dem Suunto Bugs und Kinderkrankheiten der Vorgängermodelle ausgeräumt hat. Feine Features – von der Stoppuhr über Rundenprotokolle bis zu Navi-Hilfe. Handling und Konfiguration erklären sich von selbst. Web-und App-Plattform sind logisch, übersichtlich und einfach aufgebaut. Konnektivität? Verlässlich und deppensicher. Das Display ist groß, kontrastreich und so gut lesbar, dass auch schasaugerte Menschen wie ich bei jedem Licht und überall – in der Sonne, im Kino und unter Wasser – jubeln. Es gibt zahllose Möglichkeiten, Datenfelder und Sportarten zu definieren und zu kombinieren – und die GPS-Genauigkeit wurde verbessert.

Ein Werkzeug also, das alles und oft auch ein bisserl mehr von dem kann, was preisgleiche Mitbewerbergeräte bieten, leistungsmäßig aber dennoch nicht ganz an jene Sportuhr heranreicht, die derzeit die Benchmark aller (teuren) Dinge ist: Garmins Fenix 5 – der ist aber auch teurer.

Foto: Thomas Rottenberg

In meinem Test ging es deshalb um etwas anderes: die Qualität des Handgelenk-Pulsmessers. Und zwar im Vergleich mit einem Referenzgerät mit "herkömmlicher" Pulsmessung. Mein privater (regulär gekaufter) Garmin Forerunner 735xt kann zwar auch am Handgelenk messen – aber wenn ich wirklich wissen will, wie mein Herz klopft, verwende ich den Gurt: Er stört mich nicht, und ich bin mit Handgelenksmesserei bisher fast ausnahmslos eingefahren.

Beim ersten Test legte ich die Spartan beim Radfahren an. Die Garmin kam an den Lenker (ohne Brustgurt wäre das reichlich sinnfrei). Die Unterschiede waren signifikant und eklatant: 113 Beats via Brustgurt standen 70 am Handgelenk gegenüber.

Egal was ich tat – Uhrband enger oder weiter, die Uhr auf die Innenseite drehen oder am anderen Arm tragen –, die Relationen blieben in jedem Anstrengungsbereich etwa gleich. Das ist jenseits dessen, was als Schwankungsbreite durchgeht.

Foto: Thomas Rottenberg

Am Tag darauf machte ich die Gegenprobe, verband die Suunto mit einem Gurt, die Garmin maß am Handgelenk: Eigentlich erwartete ich, nun ähnliche Ungenauigkeiten – umgekehrt – präsentiert zu bekommen. Denn meine Arme verstehen sich mit optischen Sensoren sehr selten. Die Sensoren – und auch das wird meist nur leise und auf Nachfragen gesagt – haben nämlich mit starker Pigmentierung, dichten Haaren, Tätowierungen, dunkler Haut und extremer Schweißbildung oder Wasser zwischen Haut und Uhr echte Probleme. Kalte Finger, zu enges oder zu loses Tragen können die Ergebnisse dann zusätzlich verfälschen.

Und obwohl ich mich an alle Trageregeln und -anweisungen halte und bei normalen Umweltbedingungen unterwegs bin, mögen mich die Dinger nicht: Kann es wirklich sein, dass meine paar Sommersprossen schon dafür ausreichen, die Ergebnisse unbrauchbar zu machen?

Ich war aus einem anderen Grund baff: Die Garmin maß – gefühlt, ich weiß ja in etwa, wie mein Körper tickt – richtig. Doch die Suunto lief Amok. Denn dass ich beim Ein- und Warmlaufen konstant über 170 Puls habe, wäre ein Grund, sofort einen Arzt aufzusuchen.

Foto: Thomas Rottenberg

Auch mehrmaliges Ein- und Ausschalten, Resetten und Neuverbinden des Sensors brachte nix – bis der Spuk dann, nach eineinhalb Kilometern, plötzlich vorbei war: So, als wäre nie etwas gewesen, waren die gezeigten Pulswerte dort, wo sie sein sollten. (Nebenbei: Die Garmin maß am Handgelenk ziemlich genau das, was die Suunto dann am Herzen las.)

Ich war von Exaktheit, Einfachheit, Lesbarkeit und Brillanz des Displays und den Angaben der Suunto beeindruckt – aber trotz der Vielfalt nicht verwirrt und überfordert: Hätte ich nicht eine Uhr, mit der ich zufrieden bin, wäre die Suunto eine Überlegung wert. Die Anfangsirrläufe schrieb ich der – mutmaßlich – schwachen Batterie des Brustgurtes zu.

Doch das war es nicht: Ein Freund, der eines der Spartan-Vorgängermodelle verwendet, sagte mir, dass seine Uhr fast bei jedem Training derartige Sperenzchen mache. Ein bis eineinhalb Kilometer Wahnsinn – aber dann pipifein. Der Mann denkt dennoch nicht im Traum daran, deshalb das Gerät zu wechseln.

Foto: Thomas Rottenberg

Ob meine Garmin beim ersten Test, am Rad, vielleicht falsch gemessen hatte? Gefühlt nein – aber vielleicht ja doch. Also lief ich noch einmal. Diesmal mit drei Uhren: die 735xt mit Brustgurt rechts, links die Spartan und die Garmin F35 meiner Freundin. Die F35 ist Garmins kleines, einfaches und günstiges Einsteigermodell. Sie kann alles, was man braucht, wenn man einfach nur laufen will – und misst Puls am Handgelenk.

Das Ergebnis? Die Spartan maß irgendwas. F35 ebenfalls – aber meist zumindest halbwegs in der Nähe der Werte der 735xt. Mit gutmütigst zugedrückten Augen lag das fast im Rahmen.

Foto: Thomas Rottenberg

Um sicherzugehen, änderte ich das Setting. Tauschte die Position der beiden Uhren mit Handgelenksmessung. Plötzlich waren auch die Werte der F35 jenseits von Gut und Böse. Aber stimmten die der Suunto jetzt? Mitnichten. Aber, darauf hatte ich geachtet, ich war jenseits der kritischen 1,5-Kilometer-Grenze.

Ich lief weiter. Hin und wieder sah ich noch auf die Handgelenkspulsmesser, vertauschte Positionen und Tragearme, zog Uhrbänder enger oder machte sie lockerer: Meist zeigten mir die optischen Geräte Spaßwerte. Bis auf eine Ausnahme: Als ich das Tempo forcierte, hatte ich plötzlich drei präzise übereinstimmende Werte. Danach trennten sich die Wege wieder.

Ich beschloss, dass ich nicht alles verstehen müsse.

Foto: Thomas Rottenberg

Mein Fazit? Ich bin ehrlich davon überzeugt, dass kein Hersteller eine Uhr auf den Markt bringt, die so verheerende Abweichungen liefert, wie ich sie regelmäßig bei solchen Tests erlebe. Es muss also an mir liegen. Da die Anwendung deppensicher ist und meine Freunde und Freundinnen mit Handgelenks-Pulsmess-Uhren sagen, dass die (abgesehen von Intervalltraining und im Winter) Ergebnisse von Hand- und Gurtmessung bei ihnen passen, gehe ich davon aus, dass es an den Sommersprossen liegt. Vielleicht bin ich ja auch ein Alien. Keine Ahnung.

Deshalb gebe ich der Spartan Sport Wrist HR wegen der Punkteabzüge für das 1,5-Kilometer-Phänomen wegen Handling und Ausstattung und Performance und Display dennoch ein "Gut" – bleibe aber meinem Brustgurt treu.

Die Uhr wird vom Hersteller um 499 Euro angeboten – im Web ist sie aber auch um bis zu 150 Euro günstiger zu finden.

Nachtrag: Falls Ihnen hier die seit Wochen überall groß angepriesene Polar M430 (der Handgelenksmessung-Nachfolger des Polar-Lauf-Megasellers M400) fehlt: Das Gerät ist noch nicht lieferbar. Auch DC Rainmaker hat bisher lediglich ein Betamodell für ein paar Augenblicke in der Hand gehabt – und wartet auf das "echte" Ding. Polar Österreich hat mir versprochen, mir einen M430er zu schicken, sobald er verfügbar ist. Dann reiche ich den Test nach.

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die beschriebenen Geräte wurden von den Herstellern zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.

Mehr Laufgeschichten erzählt Thomas Rottenberg hier: derrottenberg.com

(Thomas Rottenberg, 17.5.2017)

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Foto: Thomas Rottenberg